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Kurt Schwitters: Thesen …

»T« wie »Thesen« und »Typographie«

Gerd Fleischmann

Kurt Schwitters hat in der Nummer 11 seiner Zeitschrift MERZ, der Typo-Reklame- oder Pelikan-Nummer, im November 1924 Thesen zur Typographie veröffentlicht. Die Kunstwissenschaft hat diese Thesen immer wieder zitiert und wie eine Monstranz vor sich hergetragen, aber nie gefragt, was sie für die Typografie bedeuten.

Der einzige, der bisher inhaltlich darauf einging, war Erich Schulz-Anker, der sie um 1969 in einem Werbeheft für die Syntax von Hans Eduard Meier ausgebreitet und zwei von ihnen für seine Zwecke instrumentalisiert hat, die These VIII für die Schönheit der neuen Schrift und die These X für ihre Funktionalität.

In meinem Beitrag zur TYPO 2018 in Berlin schaue ich mir nicht nur die römisch nummerierten zehn Thesen, sondern auch die Vor- und die Nachbemerkung durch eine ›typografische Brille‹ an, angefangen bei Schwitters’ provokativer Einleitung, eigentlich einer ersten These, »Über Typographie lassen sich unzählige Gesetze schreiben. Das wichtigste ist: Mach es niemals so, wie es jemand vor dir gemacht hat. Oder man kann auch sagen: Mach es stets anders, als es die andern machen.«

Die darauf folgende These I ist wohl die bekannteste: »Typographie kann unter Umständen Kunst sein«. Die These X »Die Forderung des Inhaltes an die Typographie ist, daß der Zweck betont wird, zu dem der Inhalt gedruckt werden soll« – ist eine umständlich formulierte Binsenweisheit. Anders ausgedrückt heißt das: Die Forderung des Klempners an den Wasserhahn ist, dass Wasser fließt – oder nicht.

Um die Zehn zu halten, packt Schwitters in die These VIII einfach zwei Aussagen, die nichts miteinander zu tun haben. Damit sind es eigentlich zwölf Thesen. Das passt auch besser zur Typografie, denn das typographische System ist nicht dezimal, sondern modulo zwölf aufgebaut. Ein Cicero ist zwölf Punkt.

In einer erratischen Schlussbemerkung, die immer übersehen wird, stellt er fest: »Heute bedient sich [die Reklame] statt der Künstler für ihre Reklamezwecke der Kunst, oder deutlicher gesagt: DER TYPOGRAPHIE.«

Das Werk von Kurt Schwitters reicht von naturalistischen Porträts und Landschaften über gebrauchsgrafische Arbeiten (wie es damals hieß) bis zu Lautgedichten. Schwitters ist auch als Gründer und Vorsitzender des ring neuer werbegestalter (1928) bekannt. Mitglieder des rings waren Willi Baumeister, Max Burchartz (werbe-bau), Walter Dexel, César Domela, Hans Leistikow (Das neue Frankfurt), Robert Michel, Paul Schuitema, Georg Trump, Jan Tschichold, Peter Vordemberge-Gildewart und Piet Zwart. Gäste für eine Ausstellung in Basel 1930 waren Walter Cyliax (werbe-bau), Lajos Kassák, Johannes Molzahn und Karel Teige. Schwitters war Initiator und spiritus rector. Seine größte ›Erfindung‹, MERZ, ist ohne gesetzte Schrift nicht denkbar – sei es auf gefundenen Drucksachen oder in seinen Entwürfen.

Die »Typographie« ist Pate seines Werkes.