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Pershing II—NEIN!

Time goes by…

Die alte Stalltür aus Eichenholz war einmal Teil der Ausstellung über die Drucker in der irischen Provinz. Sie war beklebt mit einem Plakat aus Frankreich als Hinweis darauf, dass es überall solche Plakate gab. Das eindringlichste Beispiel dafür ist ein zweiteiliges Plakat aus Andalusien für ¡¡Bellezas al desnudo!! Con la estrella de la canción Antoñita de Linares am 2. März 1977 im Teatro Montemar, Baeza, 60 x 160 cm, das ich vom Putz der Ruine einer Scheune abgelöst und später auf eine alte Türe aufgekleistert habe – ohne zu wissen, wer Antoñita de Linares ist. Heute wäre es ganz einfach. Aber so, wie das Internet gekommen ist, sind die Plakate verschwunden. Wer träumt nicht davon, beides zu haben? Hacking Gutenberg.

Die Türe mit dem französischen Plakat stand seit 2010 draußen, angelehnt an den feststehenden Flügel des Pellet-Heizungsraumes, unten eine hölzerne Fensterlaibung vom Giebel unseres Vierständerkottens in Dratum, ›Dratmanns Kotten‹, in dem ein ehemaliger Giebelbalken mit der Inschrift »Johann Kasper Gerve, genannt Keymann und Maria Elisabeth Stöppelkamp; Eheleute. Anno 1789. Mit Gott angefangen und geendet« als Pfette in der Deele verbaut ist. Das ganze Haus ist wohl aus gebrauchten Balken, auch von einem ehemaligen Bau des Nachbarhofs Rampendahl, und ohne Rücksicht auf eine verlässliche Statik errichtet. Um Deckenbalken zu sparen, wurden sie in einem größeren Abstand verlegt als die Ständer haben. In der Laibung stehen zwei Holzschuhe und darauf eine kleine Gießkanne aus verzinktem Blech aus Polen. Erinnerungen an den Traum vom ›einfachen Leben‹.

Die letzten Keymanns, die in dem Haus gelebt haben, wohl Nachfahren des Johann Kasper Greve, sind Mitte des 19. Jahrhunderts nach Pennsylvania ausgewandert, wo sich schon mehr Auswanderer aus Melle und Umgebung angesiedelt haben.

Als das Plakat längs der Fugen gerissen und verwittert war, habe ich einen Packen Plakate aufgeklebt mit einem Plakat der Band diE BLAUE BANDE für ein Konzert am 9. März 1984 in der Noller Schlucht obendrauf, entworfen und gesetzt von Klaus-Dieter Braun – so Bernd Mehrhoff, der damals in der Band war. Über die Jahre hat sich dieses Paket aufgelöst und Schicht für Schicht freigegeben. Es erinnert nun an die Proteste gegen den Nato-Doppelbeschluss 1979 mit einer Adaption des Originalplakats. Ein Atom-Pilz drängt von unten über das NEIN.

Und heute?

Wohin damit? Und mit der ganzen Sammlung von Plakaten aus Irland und der Besucherwerkstatt? Den Fotos und Dokumenten?

 

Zufall?!

Sicher wollte niemand am Aussichtsturm von SNIA Viscosa in der 1937 erbauten Fabrikstadt Torviscosa in Friaul-Julisch Venetien ein Hakenkreuz zeigen. Mangelhafte Überdeckung des Monierstahls lässt das befremdliche Bild am Aussichtsturm der Fabrik entstehen. Oder liegt die Geschichte in meinem Blick, 101 Jahre nach Mussolinis Marsch auf Rom und 90 Jahre nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler?

Strange

 

On Architecture / Texte und Skizzen. Thougts and Sketches. Raimund Abraham

Als Werbung für ein Buch mit Skizzen und Texten aus dem Nachlass von Raimund Abraham (1933 Lienz –2010 Los Angeles) verwendet der Verlag in seinem Katalog Herbst 2023 eine Doppelseite mit einer digitalen Collage, die gerade nicht von Abraham ist. Die surreale Transparenz eines seiner notebooks hätte Abraham vielleicht gefallen. Aber noch ist das Buch nicht erschienen …

 

Barbara Kahlen

Nimm eine Teeschale in beide Hände – so wie ein kostbares Buch – und trinke aus beiden. (Barbara Kahlen)

Für Freunde und Sammler ist in der Edition Ruine der Künste der Band Barbara Kahlen 108 Teeschalen in einer nummerierten und signierten Auflage von 200 Exemplaren erschienen, herausgegeben von Wolf Kahlen. Es stellt erstmals eine Auswahl von Teeschalen der 80-Jährigen, bisher nur Insidern bekannten Künstlerin vor und geht einer erweiterten Ausgabe zu den Retrospektiven im Kunstgewerbemuseum im Wasser- und Bergpalais von Schloss Pillnitz, Staatliche Kunstsammlungen Dresden (2024), im Bauhaus-Werkstatt-Museum und Schloss Dornburg und im Wasserschloss Klaffenbach bei Chemnitz voraus (beide 2025).

Barbara Kahlen hat sich der Öffentlichkeit entzogen und in guter japanischer Tradition des shibui 渋い die Einfachheit, Demut und Bescheidenheit, das Werden und Zulassen von Form und vulkanischen und Ascheglasuren in ihrer Arbeit verwirklicht. Kenner und andere Künstler schätzen ihr Werk seit 1980. Sie ist im Prinzip aber unentdeckt.

Das Buch zeigt Teeschalen von 1980 bis 2011, vom Anbeginn ihrer Lernzeit bei der Bauhaus-Keramikerin Rose Krebs am CW Post Center der Long Island University bis zu ihrer schweren Erkrankung. Seitdem ruht ihre Arbeit. Seit eineinhalb Jahren ist sie bettlägerig aufgrund einer unheilbaren Krankheit, eine Spätfolge eines 1985 in Bhutan erlittenen Typhus, wo sie zusammen mit ihrem Mann Wolf Kahlen als Consultant in Art and Architecture gearbeitet hat. Die Auswahl der besonderen, musealen Stücke aus ihrem vieltausendzähligen Œuvre hat sie erleichtert, weil sie in zahlreichen Notizbüchern präzise Berichte aller 210 Brände festgehalten hat, dazu Skizzen und Analysen.

Unter der Überschrift ›Das Universum im Trinkgefäß‹ schrieb der Tagesspiegel am 22. September 2001 zu den Teeschalen von Barbara Kahlen: »Ihre Haltung zur Kunst entspricht nicht der im heutigen Europa üblichen. Seit Jahren vertieft sich Barbara Kahlen in die Fertigung von Teeschalen – auf den ersten Blick unspektakuläre Objekte, denen doch die gleiche Intensität und weltveranschaulichende Kraft innewohnt wie jeder anderen Kunst. Im asiatischen Sinne, aber auch eingedenk unseres Mittelalters, erinnern die zeitlos-archaischen Unikate daran, dass handwerkliche Produkte Staatsschätze sein können. «

Steifbroschur, 25 x 25 cm, Vorwort von Claas Ruitenbeek, em. Direktor des Museums für Asiatische Kunst Berlin

 

Der Berg

 

Ulrichshusen, Juli 2023

Ali und Baba, die Ponys, haben wir verschenkt. Ab und an grasen nun ein Mutterschaf und drei Lämmer des Nachbarn Konrad Stolz auf der großen Wiese, die nur alle paar Wochen gemäht wird. Das Gras und die Margeriten auf den kleinen Flächen wachsen, bis sie verblüht sind. Der alte Apfelbaum vertrocknet langsam.

Eberhard Mestwerdt schreibt dazu: »… die Art von Bildern, wie sie bei uns immer mehr in Vergessenheit geraten. Leicht windschiefe Holzzäune, hohes Gras, alte Obstbäume, ein Schuppen. Landschaftslyrik ohne Worte. Wer’s begreifen kann, bewegt sich gedanklich weit weg vom Mainstream auf unbefestigten Wegen.«

Polymyalgia rheumatica.

»Ist das Kunst, oder …?«

 

Plakatwerkstatt in der Dominikanerkirche, Osnabrück, 1979 Die jungen Leute / sitzen über die / Bücher gebückt. / Wozu lernen / sie? Kein Buch / lehrt / wie man / hängend im / Stacheldraht / Wasser / bekommt. Brecht

 

Rita! Lust am Aus-Druck

Plakatwerkstatt  Mit der Wanderausstellung Drei Drucker in Irland oder auch Irish Country Posters (1976–1982) reiste auch eine Kempe-Werk Andruckpresse, die heute im Historischen Museum Bielefeld steht, und eine Auswahl Plakatschriften der ehemaligen Druckerei Corrigan & Wilson, Dublin, Sackville Place, No. 12, und des Leitrim Observer, Carick-on-Shannon. Diese Schriften sind seit Langem Teil der Sammlung des Museums für Druckkunst in Leipzig.Für viele Besucherinnen und Besucher der Ausstellung war es das erste Mal, dass sie Lettern in die Hand nehmen und ein paar eigene Zeilen setzen und drucken konnten. Célestin Freinet (1896–1966) und Élise Freinet (1898–1983) lassen grüßen …

Jetzt ist die Frage, wohin damit?

Aber auch für die Sammlung irischer Plakate, vor allem aus Jackie Danns Werkstatt in Longford, Dann’s Printing Works, Thomas Morahans Democrat Printing Works in Strokestown, Co. Roscommon und County Donegal PrintingCo. Ltd. in Letterkenny.

Gerd Fleischmann

 

Strandgut …

Kinder bitten – Wer hilft? – Kinder danken. Sonderdruck aus der Hamburger Freien Presse, Nr. 91, 1948, DIN A5

Kinderheim Morsum, um 1949

SOS-Klappholttal – SOS! Die Zeit vergeht. Covid-19 beherrscht nach wir vor unsere Tage. Zeit, alte Umzugskartons auszupacken. So trafen Texte über Urlaub auf Sylt in der Wirtschaftswunderzeit und ein Spendenaufruf von 1948 zusammen. Mit der Währungsreform in den westlichen Besatzungszonen (Trizone) von 20. Juni 1948 und der Einführung der D-Mark war das RM-Geld nur noch ein Zehntel wert. Das Nordseelager Klappholttal auf Sylt verlor dadurch Geld aus bis dahin eingegangenen Spenden und die Aussicht, schnell neue Spenden zu bekommen. 200 Waisenkinder – Flüchtlinge – drückten sich die Nasen platt an den nun prall gefüllten Schaufenstern. Der Haltepunkt Klappholttal der Inselbahn liegt zwischen Vogelkoje und Westerheide/Blidsel im Norden der Insel. Ursprünglich diente das Lager während des Ersten Weltkrieges Soldaten der Inselwache als Quartier. Im Sommer 1919 erwarb Knud Ahlborn (1888–1977) das Gelände und gründete das Freideutsche Jugendlager. Heute ist dort die Akademie am Meer (VHS Klappholttal).

Die NS-»Kinderlandverschickung« war noch in den Köpfen. Mit neun oder 10 Jahren durfte ich als Kriegswaise auf die Reise ins Kinderheim Morsum auf Sylt fahren – buchstäblich. Ich erinnere mich an das Vergnügen, mich ins Gepäcknetz über den hölzernen Sitzbänken legen zu können. In der Erinnerung dauerte die Reise zwei Tage und eine Nacht. Wir, vielleicht 40 oder 50 Jungen von acht bis 12 Jahren, wussten nichts über die Insel. Klappholttal war in den Dünen auf dem Nord-Arm der Insel. Unser Haus war nicht weit weg vom Watt. Die Tage waren ausgefüllt mit Sport, Wandern und dem Erlebnis von Ebbe und Flut. Und Buntstiftzeichnungen auf den Innenseiten gefundener flacher weißer Muschelschalen.

 

Zu spät …

Das Bild hinter mir war der Anlass, dass ich die Kunst an den Nagel hängte und mich der Fotografie zuwandte, später der Typografie. Bei einem Korrekturdurchgang Anfang der 60-er Jahre standen auf dem Flur der Hochschule für bildende Künste an der Grunewaldstraße in Berlin, wo damals die Abt. 4, Kunst- und Werkpädagogik, untergebracht war, eine Reihe meiner quadratischen, informellen Bilder, alle 136 x 136 cm – 140 cm war der breiteste Nessel, den man damals in Berlin, im KaDeWe, kaufen konnte. Fünf der Bilder waren ultramarinblau und eines, von dem hier im Hintergrund ein Ausschnitt zu sehen ist, weiß. Fred Thieler (1916–1999), in dessen Klasse ich damals war, schritt wortlos an den Bildern entlang und sagte am Ende, wo das weiße stand, mit seiner tiefen, leicht krächzenden Stimme nur: »Ohh jaa, dann malen Sie mal noch ein paar weiße …«, kein Wort mehr. Ich hatte wochenlang an den Bildern gearbeitet. Das war’s – mit der Kunst.

In der Diskussion über die »Neue Typographie« spielt immer Kunst eine Rolle. Jan (damals Iwan) Tschichold schrieb in dem Heft elementare typographie, 1925, unter dem Titel ›Die neue Gestaltung‹: »Die Schöpfer der gegenstandslosen Malerei und des Konstruktivismus [haben] die Gesetze einer zeitgemäßen Typographie in praktischer Arbeit gefunden. Ähnliche Absichten wie die, die zur absoluten Malerei führten – Gestaltung aus elementaren Formen und Verhältnissen –, brachten, auf unser Gebiet angewandt, die Neue Typographie hervor. Sie baut »auf den Erkenntnissen auf, die die konsequente Arbeit des russischen Suprematismus, des holländischen Neoplastizismus und insbesondere die des Konstruktivismus vermittelte«. (S. 58)

Alexei Gan dagegen betont in seinem Buch конструктиви́зм (Konstruktivismus), Moskau 1922, immer wieder: »Tod der Kunst!«. El Lissitzky und Ilja Ehrenburg schreiben in dem ersten Doppelheft von Vešč/Objet/Gegenstand, Berlin 1922: »Aus der schwülen Dumpfheit des weißgebluteten Rußlands und des feistgewordenen, hindämmernden Europas tönt der Kampfruf: LASST DOCH ENDLICH ALLES DEKLARIEREN UND WIDERLEGEN! AUF! SCHAFFT ›GEGENSTÄNDE‹«.

In meinem Vortrag bei CreativeMornings/Berlin am 9. Oktober 2020 habe ich vergessen, den Zuhörerinnen und Zuhörern eine Frage mitzugeben: Wäre es heute vorstellbar, dass Kunst eine Quelle typografischer Gestaltung ist? Etwa der Balloon Dog von Jeff Koons, 1993, oder das Opernprojekt 7 Deaths of Maria Callas von Marina Abramovic, 2020?

 

Ja, Junge …

Flamingoblume (Anthurium scherzerianum), ein immer wiederkehrendes Motiv bei Billy Al Bengston (*1934). Das Buch Watercolors mit einer Auswahl seiner Arbeiten auf Papier liegt auf Lager – keine Ausstellung, wie bei Various Small Fires in Los Angeles, CA, geplant, kein Book-Launch, kein Geld …

»Ja, Junge, es war wiederum nichts. Sie brauchen überall Leute heutzutage, sie können nicht genug bekommen, aber sie wollen alle nur jüngere haben. Den Jüngeren brauchen Sie weniger zu zahlen, das ist das Entscheidende. Wenn sie einen Alten einstellen, dann müssen sie ihm mehr geben, dann können sie ihm weniger sagen, und vor allem wissen sie nicht, wie lange ein Alter noch bei ihnen bleibt. Bei einem Alten ist zuviel Risiko, der rentiert sich nicht genug. Du kannst dir nicht vorstellen, wie das ist, wenn man zum alten Eisen geworfen wird.« Siegfried Lenz: Der Mann im Strom. Hamburg: Hoffmann und Campe, 1957, Seite 15.

 

Ekphrasis

Der Schuh von Kathrin Hirche 20,9 x 14,4 cm, Filzstift über Bleistift-Vorzeichnung, Schülerinnenarbeit aus dem Kunstunterricht von Karola Herden

Auffällig an dem farbigen Blatt sind einmal das Kreuz an Stelle des T, das strenge grüne Rechteck als Absatz in dem sonst naturalistischen Bild des Turnschuhs, die ausgefüllten Punzen von D und R und die dünnen ›Beine‹ der Rs. Buchstaben sind Formen, die Kinder mit Bedeutung füllen – aber nicht nur Kinder. Johannes Itten hat in seinen ›Analysen alter Meister‹ in dem UTOPIA-Heft I–II die Erlebnisse in der Betrachtung von fünf Bildern in Schriftformen und graphischen Spuren dargestellt, die mehr sind als bloße Beschreibungen – Ekphrasis. Er war ein Meister darin, »formalästhetische Gesetzmäßigkeiten mit einer größtmöglichen Erlebnisintensität zu verbinden. [… In seiner Lehre sollten] Kunstschaffen, Weltschöpfung und Ich-Erfahrung ineinandergreifen. Techniken des Schreibens und Malens sind bei Itten demnach integrale Bestandteile eines übergeordneten Konzepts der Ganzheit, durch das die ›Zusammenhänge aller Künste als ein ursprünglich einheitlich Bedingtes‹ einsichtig werden.« (Christoph Kleinschmidt)

Am frühen Bauhaus in Weimar gab es Schrift und Druck nur als Kunst. Auch Oskar Schlemmer hat den Zauber der Form in den Schriftzeichen gefunden, wie sein bildhafter Titel der Vorzugsausgabe von UTOPIA zeigt. Eine Ausnahme sind die Notgeldscheine 1923 von Herbert Bayer, der damals noch Student war – eigentlich Lehrling oder Schüler. Erst mit László Moholy-Nagy zog die Technik ein, die neue Typographie. Aber erst in Dessau hatte das Bauhaus eine eigene Buchdruck-Werkstatt.

Die ganze Entwicklung ist wunderbar dargestellt und beschrieben in dem Buch Das A und O des Bauhauses. Bauhauswerbung, Schriftbilder, Drucksachen, Ausstellungsdesign, herausgegeben von Ute Brüning, 1995 – elf Jahre nach der ersten umfangreichen Publikation zum Thema in der Edition Marzona.

Alles, was wir über Schrift und Typografie am Bauhaus wissen, können wir nachlesen. Nach dem Jubiläumsjahr hat die Anzahl gedruckter und online-Publikationen weiter zugenommen. Trotzdem lohnt es zuzuhören und zuzuschauen, wenn das Thema mit einer unmittelbaren, direkten Ansprache vorgetragen wird. Eine Chance zur Ekphrasis:  Donnerstag, 19. März 2020, 18–20 Uhr, Kunstforum Hermann Stenner, Bielefeld, Anmeldung unter info@kunstforum-hermann-stenner.de oder 0521 800660-0.

Längst abgesagt. Als neuer Termin ist der 18. Juni vorgesehen. So ganz daran glauben kann ich heute aber nicht mehr. Auch nicht an die Tour de France. Bleibt gesund!

Gerd Fleischmann

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Die Neue Typographie

Straßentheater! »Die Neue Typographie«, Einführung für eine Gruppe russischer Designer*innen in der Lobby der Gemäldegalerie am Kulturforum Berlin: Filipp Belov, Valeriia Ganicheva, Olesya Gumenenko, Rustam Gabbasov, Evgeniia Shalimova, Elena Moskovskaya, Gerd Fleischmann, George Kvasnikov, Ramil Gilmanov (im Uhrzeigersinn); nicht im Bild: Bondarev Anton, Oleg Turbaba, Eugene Yukechev, 24. Oktober 2019. Foto © 2019 Eugene Yukechev

Die Ausstellungen und Veranstaltungen zum Gründungsjubiläum des Bauhauses sind beeindruckend. Über die Quellen der als »Bauhausstil« apostrophierten Formen wird wenig gesprochen. Einmal sind es die Ideen des Arbeitsrat für Kunst, dann ist es der Konstruktivismus als Ausdruck des revolutionären Aufbruchs nach der Oktoberrevolution, zum anderen de Stijl. László Moholy-Nagy prägte mit seinem Aufsatz ›Die Neue Typographie‹ im Buch zur ersten Bauhaus-Ausstellung 1923, Staatliches Bauhaus in Weimar 1919–23, München 1923, S. 141, den Begriff. Sieht man sich an, was davor in der Sowjetunion veröffentlicht wurde (und was Moholy-Nagy zum großen Teil kannte), so müsste ›Die Neue Typographie‹ besser Die Konstruktivistische (oder Russische – Sowjetische – Bolschewistische) Typographie heißen. Die schwarzen Cicero-Linien, die Aleksei Gan in seinem epochalen Buch Konstruktivizm, Moskau 1922, als Auszeichnungen verwendet, und die der ›Neuen Typographie‹ auch die Bezeichnung ›Balkentypografie‹ eintrugen – in Zeiten des Weltkrieges die Ränder repräsentativer Todesanzeigen.

Ein weiteres Beispiel sind die beiden von El Lissitzky betreuten programmatischen Hefte von Вещь (Veshch)/Objet/Gegenstand, die als grundlegend für die ›Neue Typographie‹ angesehen werden können. Darin wird der konstruktiven Kunst die Aufgabe zugewiesen, »nicht etwa […] das Leben zu schmücken, sondern es zu organisieren« (1–2, S. 2).

Die Druckwerkstatt am Bauhaus in Weimar war eine reine Kunstdruckerei mit Lithografie, Radierung und Holz- oder Linolschnitt. Drucksachen mit Satz wurden außer Haus hergestellt. Die herausragende typografische Arbeit der Weimarer Zeit sind die Notgeldscheine von Herbert Bayer, damals noch Student, »das Bauhaus in der Hosentasche», 1923. Erst in Dessau gab es eine Druckwerkstatt mit Schriften und einem Tiegel. Leiter der Werkstatt war Herbert Bayer.

Die Schlüsselpublikation war ›elementare typographie‹, ein Sonderheft der Typographischen Mitteilungen, Oktober 1925, herausgegeben vom Bildungsverband der Deutschen Buchdrucker, Leipzig, unter dem Dach des Verbandes der Deutschen Buchdrucker, Auflage ca. 20.000. Autor und spiritus rector war Jan Tschichold (damals: ivan, aus Sympathie für das Sowjet System und mit der Kleinschreibung für das bauhaus, wo diese zum Standard erklärt wurde), mit Beiträgen von Natan Altmnn, Otto Baumberger, Herbert Bayer, Max Burchartz, El Lissitzky, Ladislaus (László) Moholy-Nagy, Farkas F. Molnár, Johannes Molzahn, Kurt Schwitters, Mart Stam, und von ihm selbst. 1928 veröffentlchte Jan Tschichold das Buch Die Neue Typographie, die ›Bibel‹ der Bewegung.

Eine Gruppe junger russischer Designerinnen und Designern wollte sich unter der Leitung von Eugene Yukechev (Gründer und Herausgeber des Online-Magazins Type Journal) ein Bild vom Bauhaus machen und besuchte in Berlin die Ausstellung original bauhaus in der Berlinischen Galerie, in Weimar die Bauten von Henri van de Velde, das Haus am Horn und das neue Bauhaus-Museum Weimar und in Dessau-Roßlau das Bauhaus-Gebäude, die Meisterhäuser, die Siedlung Törten und das neue Bauhaus-Museum Dessau in der Stadtmitte.

In einer kurzen Einführung versuchte ich, die Mitglieder der Gruppe für die Zeit zu sensibilisieren, in der ›Die Neue Typographie‹ als Gestaltungsform erschien, Quellen und Parallelen darzustellen und die Rolle des Gestalters (Designers) oder der Gestalterin (Designerin) damals und heute zu hinterfragen.

Leitsätze waren – wir sprachen Englisch:

  • The New Typography is a new concept of communication in a new society resp. a new world, after the breakdown of all believes and orders in WW I, the Russian Revolution, and the following political and economical disasters. Additional production changed more and more from craft and manufacture to industry.
  • The New Typography was developed and promoted by artists, not by professionals of the trade. Their main concern was propaganda and advertising, not books or newspapers. To get an idea what magazine typography and advertising was like in Germany in 1920 (3 July), see the magazine Jugend.
  • Designing is not a profession but an attitude (László Moholy-Nagy: Vision in Motion. Chicago 1947, p. 42). This is different from design as a business as we experience it today.

Design education should be organized in projects not in subjects: Life does not care of any class schedules.

 

Schrift

… uns näheren Kulturen schon gegeben. Bei allen Völkern, deren Geschichte man kennt, galten Bildzeichen oder Buchstaben als heilige, mit besonderer Macht geladene Zeichen, die allerdings nur von bestimmten Priestern verstanden werden konnte. Umgang mit der Schrift hat als ein magischer Akt gegolten, mit dessen Hilfe man beschwören, zaubern konnte, Schriftzeichen haben nicht selten Schutz- und Heilkraft erwiesen. Die Buchstabenmagie der Pythagoräer, die griechischen Zauberpapyri, die Male der Gnosis, der Buchstabenzauber des Mittelalters, die Schriftlabyrinthe der Renaissance, die geschriebenen Inszenierungen des Barock – diese ganze geschriebene Welt …

Ein Fundstück bei der Suche nach etwas ganz anderem, ein vergilbter Zeitungsausriss wohl noch aus Studienzeiten, ohne Datum und Quelle – serendipity. Auch die Internet-Suche half bisher nicht, sie zu finden. Und im Feuilleton werden ohnehin keine angegeben.

 

Scheitern, das.

Nach der Auseinandersetzung um den Auftritt der Polit-Punkband aus Mecklenburg-Vorpommern Feine Sahne Fischfilet im Bauhausgebäude in Dessau-Roßlau (ja, es muss nun wieder so umständlich heißen) geht mir durch den Kopf, dass das gesamte Black Mountain College , wie vorher das bauhaus, und später die hfg ulm an Rechts gescheitert sind, auch wenn es letzten Endes immer die Finanzen waren – 1957, 1933, 1968. In den USA waren es die McCarthy-Ära und der Antikommunismus, die jede freie politische und gesellschaftliche Aktivität einschränkten, in Weimar 1925, dann in Dessau 1932 und schließlich in Berlin, wo Mies van der Rohe versuchte, das bauhaus fortzuführen, erzwangen die Nationalsozialisten dessen Selbstauflösung. Die ausschlaggebenden Ursachen für die Schließung der hfg ulm sind nach wie vor umstritten. Lothar Späth, 1968 Mitglied im Finanzausschuss des Landtags Baden-Württemberg,sagte dazu 2010: »Die CDU war damals, 1968, entschlossen, die hfg in Ulm aufzulösen, obwohl sie eine ziemlich wichtige Aufgabe hatte – auch in der Nachkriegsdiskussion und in ihrer Verbindung zu den Geschwistern Scholl. Die hfg war etwas, was man nicht fassen konnte. […] Der regierenden CDU war das alles, was da in Ulm stattfand, ein bisschen unheimlich.« (Lothar Späth: I believe in the Young Generation – They will do it. In: Jahrbuch 10 – Things Beyond Control. Akademie Schloss Solitude, 2010, S. 26)

Das Scheitern des bauhaus, des Black Mountain College und der hfg ulm war anders, als ein »gescheitertes« Experiment von Buckminster Fuller am Black Mountain College (Asheville, North Carolina, 1933–1957 – gegründet im selben Jahr, als das bauhaus endgültig schloss), zu dem Maria Becker in der Neuen Zürcher Zeitung schrieb: »Wesentlich für das gelebte Experiment war auch das Scheitern. Buckminster Fuller war begeistert, als seine erste geodätische Kuppel unmittelbar nach der Fertigstellung zusammenbrach. Aus dieser Erfahrung gewann er die Erkenntnis, welche Faktoren für die Realisierung entscheidend waren. Beim zweiten Mal klappte es. Die Studenten hingen schwebend an dem fragilen Gerüst. Es war die praktizierte Synergie von Lehre und Alltag, die Innovation hervorbrachte.« . Es war endgültig. Trotzdem steckt auch darin die Chance, neu zu denken, neu anzufangen. Ivan Morris beschreibt das Scheitern als Teil der japanischen Kultur eindrucksvoll in seiner Studie Samurai oder Von der Würde des Scheiterns, 1975, deutsch 1989: »Onoda [Onoda Hirō 小野田寛郎] hat uns gezeigt, dass es im Leben mehr gibt als nur materiellen Wohlstand und Eigeninteresse – nämlich den spirituellen Aspekt, den wir vielleicht vergessen haben.«

Mit den aktuellen Kampagnen um die Gründung des Bauhauses vor 100 Jahren scheitern die Ideen des bauhaus ein zweites Mal. Julia Meer geißelte bereits im Vorfeld das Bauhaus-Merchandising in einem Beitrag in Sprache für die Form* Forum für Design und Rhetorik. Der Versuch, im Pushkin Museum in Moskau eine Präsentation mit Dokumenten und Exponaten aus dem Archiv der Avantgarden (AdA), einer Schenkung von Egidio Marzona an die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) und einer Serie von Workshops einzurichten, lief vor die Wand – mit der Empfehlung, wir sollten uns doch ein anderes venue einfallen lassen. Vielleicht ist die Zeit nicht reif für die Ideen der Avantgarden und des bauhaus. Das Museum möchte lieber eine Ausstellung mit Masterpieceshaben, eine übliche Kunst-Kirche … Aber auch Gerhard Matzigs bissiger Beitrag ›Wie ein Anfall von Würfelhusten‹ in der Süddeutschen Zeitung ist ein besserer Weg?

Der Zusammenbruch einer geodätischen Kuppel, auf den Maria Becker anspielt, war kein »Scheitern«, sondern nur ein Fehler in der Konstruktion, den Buckminster Fuller produktiv nutzte.

 

Kurt Schwitters: Thesen …

»T« wie »Thesen« und »Typographie«

Gerd Fleischmann

Kurt Schwitters hat in der Nummer 11 seiner Zeitschrift MERZ, der Typo-Reklame- oder Pelikan-Nummer, im November 1924 Thesen zur Typographie veröffentlicht. Die Kunstwissenschaft hat diese Thesen immer wieder zitiert und wie eine Monstranz vor sich hergetragen, aber nie gefragt, was sie für die Typografie bedeuten.

Der einzige, der bisher inhaltlich darauf einging, war Erich Schulz-Anker, der sie um 1969 in einem Werbeheft für die Syntax von Hans Eduard Meier ausgebreitet und zwei von ihnen für seine Zwecke instrumentalisiert hat, die These VIII für die Schönheit der neuen Schrift und die These X für ihre Funktionalität.

In meinem Beitrag zur TYPO 2018 in Berlin schaue ich mir nicht nur die römisch nummerierten zehn Thesen, sondern auch die Vor- und die Nachbemerkung durch eine ›typografische Brille‹ an, angefangen bei Schwitters’ provokativer Einleitung, eigentlich einer ersten These, »Über Typographie lassen sich unzählige Gesetze schreiben. Das wichtigste ist: Mach es niemals so, wie es jemand vor dir gemacht hat. Oder man kann auch sagen: Mach es stets anders, als es die andern machen.«

Die darauf folgende These I ist wohl die bekannteste: »Typographie kann unter Umständen Kunst sein«. Die These X »Die Forderung des Inhaltes an die Typographie ist, daß der Zweck betont wird, zu dem der Inhalt gedruckt werden soll« – ist eine umständlich formulierte Binsenweisheit. Anders ausgedrückt heißt das: Die Forderung des Klempners an den Wasserhahn ist, dass Wasser fließt – oder nicht.

Um die Zehn zu halten, packt Schwitters in die These VIII einfach zwei Aussagen, die nichts miteinander zu tun haben. Damit sind es eigentlich zwölf Thesen. Das passt auch besser zur Typografie, denn das typographische System ist nicht dezimal, sondern modulo zwölf aufgebaut. Ein Cicero ist zwölf Punkt.

In einer erratischen Schlussbemerkung, die immer übersehen wird, stellt er fest: »Heute bedient sich [die Reklame] statt der Künstler für ihre Reklamezwecke der Kunst, oder deutlicher gesagt: DER TYPOGRAPHIE.«

Das Werk von Kurt Schwitters reicht von naturalistischen Porträts und Landschaften über gebrauchsgrafische Arbeiten (wie es damals hieß) bis zu Lautgedichten. Schwitters ist auch als Gründer und Vorsitzender des ring neuer werbegestalter (1928) bekannt. Mitglieder des rings waren Willi Baumeister, Max Burchartz (werbe-bau), Walter Dexel, César Domela, Hans Leistikow (Das neue Frankfurt), Robert Michel, Paul Schuitema, Georg Trump, Jan Tschichold, Peter Vordemberge-Gildewart und Piet Zwart. Gäste für eine Ausstellung in Basel 1930 waren Walter Cyliax (werbe-bau), Lajos Kassák, Johannes Molzahn und Karel Teige. Schwitters war Initiator und spiritus rector. Seine größte ›Erfindung‹, MERZ, ist ohne gesetzte Schrift nicht denkbar – sei es auf gefundenen Drucksachen oder in seinen Entwürfen.

Die »Typographie« ist Pate seines Werkes.

[baˈlãːs(ə)]

Die alten Fischernetze in Kochi, 1. März 2015. Beim Anblick des Mülls am Rand des Meeres vergeht einem der Appetit. Die Technik würde ohnehin nicht mehr ausreichen, den Hunger zu stillen.

Gleichgewicht halten … John Lennon hat es im Englischen einfacher als wir im Deutschen: Imagine there’s no heaven... Er kann unterscheiden zwischen heaven und sky. Wir haben nur das fatale Wort »Himmel«. Ein Traum.

Hier schreien nicht nur die Steine.

In der ZEIT vom 19. Oktober 2017 wirbt die Bundeswehr unter dem Titelthema »100 Jahre Kommunismus« mit dem Stichwort MALI. Die bräunliche Anmutung erinnert an Computer-Mordspiele. Das Tatzenkreuz unten, auch Templer- und Kanonenkreuz genannt, soll wohl für Kontinuität bürgen.

Zur gleichen Zeit vor 100 Jahren tobte vom 12. Oktober bis 10. November 1917 die Schlacht bei Passchendaele. Unter Dauerbeschuss versanken Panzer bei strömendem Regen in einem Meer aus Matsch und Wasser, Soldaten ertranken. Die Alliierten feierten die Eroberung von Passchendaele als Erfolg. Von dem Ort selbst war nichts mehr zu sehen. Die Verluste der gesamten dritten Flandernschlacht vom 31. Juli 1917 bis 10. November 1917 werden auf ca. 70.000 getötete, 200.000 verwundete oder gefangen genommene britischen und Commonwealth-Soldaten geschätzt – genaue Zahlen gibt es nicht. Für die deutsche Seite geht man von ähnlichen Zahlen aus.

Krieg ist wieder salonfähig. DIE ZEIT spielt mit. Der AfD-Spitzenkandidat und jetzt MdB Dr. jur. Eberhardt Alexander Gauland  hat Anfang September 2017 in einer Rede bei einem »Kyffhäuser-Treffen« der Partei vor Anhängern einen Schlussstrich unter die Nazi-Vergangenheit gefordert. Er sprach von dem »Recht, stolz zu sein auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen« – und bleibt dabei.

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Royalty-free

Abonnieren. For free – oder richtig: Gratuite.

Wie gelingt es Augustin, immer wieder wunderbare Texte und Abbildungen ins Internet zu stellen, bei denen wir mit der VG Bild-Kunst und anderen Copyright-Ansprüchen zu kämpfen hätten, gestern über Fortunato Depero, heute den vollständigen Katalog zu einem Möbel-Design-Wettbewerb 1950? Abonnieren!

Alleine, um etwa eine Seite aus Schwitters’ Zeitschrift MERZ in einem öffentlichen Vortrag einmal an die Wand zu werfen, ginge nicht ohne Gebühren. Für eine Präsentation im Internet würden sich diese vervielfachen.

Was Aswin Sadha auf seiner Seite Thinking Form zeigt, ist ein Wunder, das wohl nur über eine edu-license in den USA royalty-free möglich ist.

… mit Geldstrafe bestraft.

Gerd Fleischmann

Briefwahl 2017

Wenn man die Unterlagen zur Briefwahl für die Wahl zum Deutschen Bundestag am 24. September 2017 in die Hand nimmt, klappt man automatisch die erste Seite nach unten, um an den Inhalt zu kommen. Das Auge überfliegt den roten Umschlag, und bleibt beim ersten Text hängen: »oder mit Geldstrafe bestraft.« Der Blick nach rechts führt zu »persönlich«, »verfälscht« und »bis zu 5 Jahren«. Eine gnadenlose Einladung. Obwohl es eine Sendung zur Briefwahl ist, wird auf dem Merkblatt zur Briefwahl zunächst erläutert, wie man im Wahllokal wählt (dazu gehört auch die Strafandrohung) und dann nach einer fetten grauen Linie, wie man per Briefwahl wählen kann.

D-

Gerd Fleischmann

Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Jeden Tag. Immer noch ignorieren viele Unternehmen (und auch Designer), dass der Versuch der Postverwaltungen gescheitert ist, das Länderkennzeichen für Kraftfahrzeuge als Ziellandangabe vor die Postleitzahl zu setzen – seit mehr als 20 Jahren. Der Grund waren wohl alphanumerische Postleitzahlen in einigen Ländern, mit denen keine Eindeutigkeit zu erreichen ist. Die Adressierungsvorgaben der Deutschen Post AG sagen auf Seite 11, wie es richtig ist – ohne vorangestelltes Länderkennzeichen. Ohne Wenn und Aber. Und umsonst.

Auschwitz

Lorenz Frank

Die Verbrechen mit dem Code-Wort ›Auschwitz‹ waren sichtbar – aller Leugnung zum Trotz. Die zivilen Helfer standen in Erfurt an ihren Zeichenmaschinen und haben in Auschwitz gesehen, wozu ihre Konstruktionen gebraucht wurden. In einer neuen Wanderausstellung ist die Zeichenmaschine Grundlage für die Formgebung. Ein Mordwerkzeug aus Stahl.

Theodor Adornos Satz »Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch« behauptet das Scheitern von Kunst und Kultur gegenüber den Verbrechen. Danach wäre jede Anstrengung müßig, ja, würde sich verbieten, mit Mitteln der Gestaltung auf die Verbrechen hinzuweisen. Für Paul Celan kam Adornos Verdikt zu spät. Er hat seine Todesfuge 1944/45 geschrieben und 1947 veröffentlicht. Die paradoxen Chiffren »schwarze Milch der Frühe« und das »Grab in den Lüften« deuten die historischen Ereignisse nur an und sind stärker als Beschreibungen.

Aber wie sonst soll eine Mitteilung, etwas Sichtbares, ein Plakat formuliert werden, das auf die Verbrechen hinweist? Kognitive Dissonanz? Nach den Gestaltgesetzen können wir ohnehin unserer Wahrnehmung nicht davonlaufen. Die Gesetzmäßigkeiten und damit die Wirkung liegen im Vorbewussten und sind unabhängig vom Inhalt. Wie sollte das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin geformt, gestaltet werden, wenn nicht mit den Ausdrucksmitteln, die wir nach wie vor verstehen: Form, Farbe, oben/unten, hell/dunkel, Rhythmus? Oder, auf die Typografie bezogen, Carl Dair’s 7 Contrasts: Structure, Texture, Colour, Direction, Form, Size, Weight. The impact derives not from the fact that the unexpected happens, but rather that the expected does not happen”, ist der entscheidende Satz für wirksame Kommunikation, was Kurt Schwitters in seinen Thesen zur Typographie so ausgedrückt hat: »Über Typografie lassen sich unzählige Gesetze schreiben. Das Wichtigste ist: Mach es niemals so, wie es jemand vor dir gemacht hat. Oder man kann auch sagen: Mach es stets anders, als es die anderen machen.«

Zugegeben – ein Zufall. Die Brüche und Schnitte stehen quer zu der gewohnten Erinnerungskultur. Ein Schrei. Das unerwartete Himmelblau ist eine Erinnerung an das »Grab in den Lüften« in Paul Celans Todesfuge.

 

 

Brauchen wir Helden?

Gerd Fleischmann

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Guten Appetit! Flughafen Tegel, Berlin, 100 Jahre danach.

Rot ist in China die Farbe des Glücks, der Titel ›Baron‹ zieht in Deutschland immer noch. Red Baron als Namen für ein Restaurant klingt gut, auch wenn die Privilegien des Adels nach dem Ersten Weltkrieg abgeschafft wurden. 1919 wurde in der Weimarer Verfassung festgeschrieben: »Alle Deutschen sind vor dem Gesetz gleich.« Die Länder hatten zu entscheiden, zu welchem Zeitpunkt die letzten Privilegien aufgehoben werden. In Preußen geschah das am 23. Juni 1920. Adelstitel sind damit nur noch Namensbestandteile.

Zu der Restaurant-Werbung in englischen Black Letters und Futura Book im Flughafen Tegel gehört auch ein verkleinerter Nachbau des roten Focker-Dr. I-Dreideckers von Rittmeister Manfred Albrecht Freiherr von Richthofen, des erfolgreichsten Jagdfliegers aller Zeiten. Die 80 bestätigten Abschüsse werden als Luftsiege bezeichnet. Über die Piloten der abgeschossenen Maschinen wird nicht gesprochen. Krieg heißt Töten. Abschuss ist Mord.

Im August 1915, also vor bald 100 Jahren, wurde Richthofen von der Ost- an die Westfront zur Brieftauben-Abteilung Ostende kommandiert. Der Name der Einheit war eine Tarnbezeichnung. Sie war in Wirklichkeit das erste Kampfgeschwader der Obersten Heeres-Leitung und sollte Bombenangriffe gegen England fliegen. Daran und an die getöteten ›Gegner‹ erinnert unter dem Dreidecker nichts. Auch nicht daran, dass nach dem Tod von Richthofen und dem seines Nachfolgers Wilhelm Reinhard der spätere Chef der Luftwaffe der nationalsozialistischen Wehrmacht und Reichsmarschall (Juli 1940) Hermann Göring das Jagdgeschwader 1 führte.

 

…a quite enthusiastic “Yes”

Gerd Fleischmann

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Eugene Yukeshev: Aktivitäten, in Anlehnung an Diagramme von Hannes Meyer, 1929

Egidio Marzona hat Dokumente und Werke aus seinem Archiv und seiner Sammlung für eine Ausstellung im Pushkin Museum in Moskau zur Erinnerung an die Gründung des Bauhauses 1919 zur Verfügung gestellt, die ich zusammen mit russischen Kollegen kuratieren werde. Eugene Yukechev und Dima Barbanel  haben den Entwurf unseres Konzepts Marina Loshak, der Direktorin, präsentiert – und offene Türen eingerannt:

An exhibition to celebrate 100 years of the bauhaus should not only look back. It should identify projects that continue and rethink the ideas of the bauhaus today – or the different ideas from the expressionist, esoteric, and visonary beginnings in Weimar 1919, the move to Dessau 1925, the New Bauhaus in Chicago and the hochschule für gestaltung, Ulm.

Cooperation partners should be the Bauhaus Kooperation Berlin Dessau Weimar gGmbH, (hopefully) and design schools in Moscow. For patronage the museum should ask Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des Auswärtigen (Secretary of State).

Background

•   Russian constructivism as an important contribution to modernism
•   Russians in Berlin in the early twenties, Berlin as a meeting point and melting pot for ideas
•   Foundation of WChUTEMAS in 1920 (celebration of 100 years in 2020)
•   Team work instead of individualism (Hannes Meyer and his socialist view of architecture and design)
•   Moscow and the young Soviet Union as a place of yearning for German architects, like Ernst May (Das neue Frankfurt), Gustav Hassenpflug, Margarete (Grete) Schütte-Lihotzky (Frankfurter Küche)

Objectives

•   The exhibition should create curiousness (Neugier) and inform about the bauhaus in its five major aspects: Vorkurs with Johannes Itten in Weimar; the 1923 exhibition (with Haus am Horn), and the introduction of typography and communication by László Moholy-Nagy; the new building in Dessau with the new print shop, and the Reklamewerkstatt (advertising class); the concepts and efforts of Hannes Meyer,
•   show selected items from all classes and workshops, including photography and films
•   allow deeper study by a selection of completely translated publications and biographies of masters and students, especially the students from the USSR,
•   allow to see, use, and enjoy some modern bauhaus products and furniture, lent by companies that are still producing bauhaus designs like Rasch Tapetenfabrik, TECTA, L&C Stendal and others,
•   invite the visitors to participate and contribute, ask what “bauhaus” could mean for the future.

Der Teufel aber steckt im Detail.

 

What the hell is bauhaus typography?

Gerd Fleischmann

bauhaus stamp

DAS BAUHAUS IN DESSAU, stamp from the estate of Hubert Hoffmann, now Archive Marzona – a contradiction to kleinschreibung (exclusive use of lower case) as part of the corporate design of the bauhaus since 1925

The reason to talk about lettering, typography and visual communication at the Bauhaus (since 1925: bauhaus) is at least twofold . On the one hand, I want to point out that the early typography at the Bauhaus was influenced by Russian artists, first and formost El Lissitzky and the magazine ΒΕЩЬ  · Objet · Gegenstand, ϺЕЖДУНОЕ ОБОЗРЕНИЕ СОВРЕМЕННОГО ИСКУСТВА / Revue internationale de l’art moderne / Internationale Rundschau der Kunst der Gegenwart, published in Berlin in 1922. On the other hand I want to recall Hannes Meyer, the second director of the bauhaus for a short time, 1928–1930, and the booklet junge menschen kommt ans bauhaus! (Young people, come to the bauhaus!). In this booklet the ideas and the politics of the school are summarized for the last time before it had to close in 1933.

The result of my talk will be quite simple. There was no “bauhaus typography”, no broad agreement on a typographic style. Only a small number of artists masters and students were active typographers and graphic designers as wwe would say today. They all had their individual and uncoordinated approaches to typography and visual communication, and became influential not only at the bauhaus: László Moholy-Nagy, Herbert Bayer, Joost Schmidt, to mention the most important ones, further Josef Albers with his kombinationsschrift (combination font, all characters made of only three elements, squares, quadrants, and circles of equal height and width), Alfred Arndt, and Franz Ehrlich, later studio Z, together with Heinz Loew and Fritz Winter.

The term “bauhaus typography” was probably coined by Jan (at that time: Ivan) Tschichold when he planned a special issue of Typographische Mitteilungen, the member’s journal of the Bildungsverband der Deutschen Buchdrucker (association for the cultural and vocational eduction of the German printers) which finally was entitled elementare typographie (elemental typography), October 1925, and was a gorgeous success. On p. 212 he explained the change of the title: “The copy at hand originally was planned as Bauhaus Special. But the Bauhaus is only one base in the battle for the New Culture. The ideas for which the Bauhaus in Dessau (formerly Weimar) stands, are advocated by numerous artist, scientists, and technicians worldwide who are not members of the Bauhaus, mainly in Europe and America by now. Therefore it is necessary, that this special does not consider only the typographic achievements of the Bauhaus, but the work in all countries where this kind of work is created. Primarily Russia (the Soviet Union, G. F.) has to be mentioned here where El Lissitzky, paradigm of the new creator, is one of the best new typographers. The misleading and by some followers discredited term ‘constructivism’ should be avoided. All these argument led to the title Elementare Typographie (elemental typography), which matches perfectly the tenor of our work.”

On top of this text Tschichold quotes in his own words the key statement from the editorial of the trilingual magazine ΒΕЩЬ (Vešč’ [Veshch]) / Objet / Gegenstand, no 1–2, March–April 1922, without mentioning the source: “The old art created pictures to decorate rooms, where one could look at them undisturbed. These pictures represent the psychology of the savoring bourgois. The new art was forced to a quasi mechanical technique, similar to the industrial production, by the choice of its means (steel, plaster, glass, etc.). The new art does not create pictures, but items, physical objects. It results from the psychology of the working class, the proletarian”.

This promotional booklet junge menschen kommt ans bauhaus! is worth to be reprinted, even in it’s awful typography – i.e. lines with up to 150 characters, set justified in small print and with almost no line feed in an article on Walter Peterhans’ teaching of photography, a quote from his book zum gegenwärtigen stand der fotografie (Today’s Photography). In a second booklet the texts should be translated and set in modern and readable typography.

This project could be extended to the rote bauhausbrigade, bauhaus students who followed Hannes Meyer when he went to Moscow after having been fired in Dessau.

 

Schlamassel? Ein Geschlossenes System!

Gerd Fleischmann

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franz und Franz

Die Erklärung, warum das Online-Magazin so heißt, wie es heißt, ist einfach und sympathisch: »Ellenlange Listen hatten wir und sind immer wieder darauf zurück gekommen, dass es ›so etwas wie franz sein müsste‹ … Also hat franz eigentlich uns gefunden.« Da ich den Gefreiten der Landwehr Franz Vogt (oder Franz Vogt mich) seit dem 2. August 2014 begleite, und das heutige Südtirol ein Ergebnis des Ersten Weltkrieges ist, dachte ich, das könnte franzmagazine interessieren. Vor allem vor dem Hintergrund der Kriege im Nahen Osten, die nun schon länger dauern, als der Krieg 1914 bis 1918, aus dem offenbar niemand Lehren gezogen hat – und unserer Ratlosigkeit. Genausowenig haben wir aus dem Zweiten Weltkrieg, dem Koreakrieg, dem Vietnamkrieg, dem Sowjetisch-Afghanischen Krieg, dem Irakkrieg der ›Koalition der Willigen‹ unter Führung von G. W. Bush und den vielen Kriegen und Massakern in Afrika etwas gelernt.

franzmagazine gestaltet Gegenwart. Aber ist Gegenwart nicht immer eine Folge der Vergangenheit? Südtirol wurde schon in dem Geheimabkommen des Vereinigten Königreichs, Frankreichs und Russlands mit Italien von 1915 Italien zugeschlagen. Ist der erbitterte Stellungskrieg in den Alpen vom Stilfser Joch an der Schweizer Grenze, über den Ortler und den Adamello zum nördlichen Gardasee, dann östlich der Etsch über den Pasubio bis zu den Sieben Gemeinden, von wo aus Österreich-Ungarn die italienischen Isonzoarmeen bedrohte kein Thema? Alles lange her? In Kötschach stehen noch heute in Wandnischen nackte Granaten, wo sonst die Heilige Maria im bodenlangen blauen Gewand mit dem Jesuskind auf dem Arm zu sehen ist …

Die Antwort auf meinen Hinweis war höflich. Und ohne Interesse. Angesagt ist Designerds, die erste internationale Designkonferenz in Bozen.

Jew

Gerd Fleischmann

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Łódź, Wojska Polskiego, 8. August 2016

»Jude« wird nach wie vor als Schimpfwort gebraucht. Polnische Hooligans bezeichnen sich selbst abschätzig und sarkastisch als Juden. Auf einer Wand am Rand des ehemaligen Gettos Litzmannstadt (Łódź), fast in Sichtweite des Dialogzentrums und des Ehrenmals für die polnischen ›Gerechten unter den Völkern‹ soll einer der beiden großen Fußballklubs in der Stadt diffamiert werden: »ŁKS liest keine Bücher«, wohl eine Anspielung auf die Probleme in den Büchern des Klubs, und dann direkt der Davidstern zwischen Ł und K, mitten im Wort. Die Widmung auf dem Ehrenmal zitiert Matthäus 19; 19 bzw. Leviticus 19; 18: Thou shalt love thy neighbour as thyself.

Wahlen …

Gerd Fleischmann

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Die Straße ist laut. Russland-Sanktionen auheben, MV-Casino (rechts), Für Kinder und Gärten … Und?

Die Wahl-Plakätchen an den Laternenmasten sind blass. Im Vorbeifahren kaum zu entziffern. Himmelblau  mit dem erigierten Pfeil dominiert. Oft weiß negative Schrift auf hellen Klinken. So traut sich Bündnis 90/Die Grünen nicht einmal mehr, ein richtiges Grün auf die Straße zu bringen. Gold auf Schwarz geht es ins Kasino. Unter dem Titel »Das Kreuz mit dem Wahlkreuz« im Tagesspiegel vom 1. August 2016 zitiert Gregor Dotzauer David Van Reybrouck zur gestörten oder verloren gegangenen Beziehung von Bürgern zu Politikern und umgekehrt: »Entweder stößt die Politik die Türen auf, oder sie werden von wütenden Bürgern eingeschlagen, während sie den Hausrat der Demokratie zertrümmern und mit dem Kronleuchter der Macht hinauslaufen.«

Kein Witz.

Gerd Fleischmann

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Ein Banner, das es nicht geben wird.

Die Politik der Erinnerungskultur verbietet, das Wort »Auschwitz« zu trennen, um »witz« zu vermeiden. Tabubruch hin, Tabubruch her – mir ist bei dem Wort noch nie »Witz« eingefallen. Das Wort hat ja auch den Anfang »Ausch«. Es gibt kein zweites Wort im Deutschen und wohl auch in keiner anderen Sprache, das so anfängt und getrennt wird. Und mit »aus-che-cken« kann man es nicht verwechseln, da der Kontext sicher immer ein ganz anderer ist.

Nach einer intensiven Diskussion mit dem Direktor der Geschichtsmuseen in der Landeshauptstadt Erfurt und dem Erinnerungsort Topf & Söhne – Die Ofenbauer von Auschwitz waren wir so weit, dass das provokative Banner für die aktuelle Ausstellung werben sollte. Am Ende scheiterte das Ganze daran, dass der Hersteller keine Lösung anbieten konnte und wollte, wie das 6 m hohe Banner mit hauseigenen Kräften und durch die Fenster gewechselt werden kann. Die Miete für einen Hubwagen einmal im Jahr ist offenbar zu hoch. Da stellt sich die Frage, wie die Stadt die Straßenbeleuchtung wartet.

Jetzt gibt es die Chance, das Banner im Kontext eines anderen Projektes zu realisieren. Aber der Denkmalschutz lässt es (bisher) nicht zu, dass das Banner einen Risalit, einen die Fassade gliedernden Vorsprung verdeckt – zum Teil. Unser Auge würde aber jederzeit das verdeckte Teil ergänzen. Nach dem Gesetz der guten Fortsetzung (oder der durchgehenden Linie) und der Trägheit unseres Auges wird der Risalit trotzdem gesehen. Ist das Haus nicht erst durch seine Geschichte Denkmal? Nicht aufgrund der besonderen architektonischen und baulichen Qualität? Um die geschichtliche Dimension zur Wirkung zu bringen, muss Werbung gemacht werden – auch über einem Risalit, der in der Wahrnehmung erhalten bleibt. Das Haus steht ja gerade wegen seiner inhaltlichen Bedeutung unter Denkmalschutz, nicht wegen seiner Architektur. Daher ist eine Störung des schönen grauen Bildes notwendig.

In der aktuellen Sonderausstellung heißt der Beitrag aus Polen nun »Deutsches nationalsozialistisches Konzentrations- und Vernichtungslager AUSCHWITZ« eine Tautologie, als wäre auch denkbar, dass vor »nationalsozialistisch« etwas anderes stehe. Vielleicht auch eine Reaktion auf eine Rede von Barack Obama. Wir machen es uns aber auch zu einfach, wenn wir immer von dem »nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslager« sprechen. Die Täter waren Deutsche – und auch viele der Opfer. Das soll auch ein Gesetzentwurf in Polen unterstreichen.

Der Kompromiss mit dem Denkmalschutz führte schlussendlich zu einem 8 m hohen Fahnenmast vor dem Haus, an dem der Erinnerungsort ohne fremde Hilfe die (kleineren) Fahnen austauschen kann …

Kommentar von Hans-Jürgen Steinmüller, Berlin (gekürzt): »… das Banner […] ist zwar eindringlich in seiner Gestaltung, aber nicht provokativ. Die […] mögliche Irritation hinsichtlich der Trennung des Wortes sehe ich nicht, weil sie durch den Buchstaben H geht. So bleibt der Begriff Auschwitz beim Lesen ungetrennt erhalten. Die polnische Bezeichnung des KZ Auschwitz als »Deutsches nationalsozialisitisches Konzentrationslager« halte ich im Sinne einer eindeutigen Zuordnung für hinnehmbar. Im früheren Ostblock war fast nur von Faschisten die Rede und bei uns nur von Nazis. Damit sollte eine pauschale Schuldzuweisung an die Deutschen vermieden werden. […] Werner Finck hatte in einer Kabarett-Sendung nach dem Krieg gesagt: »Vor dem 8. Mai 1945 hätte es so viele Nazis in Deutschland gegeben, und danach fast gar keine mehr …«

 

 

 

Podeste für Architekturmodelle

Gerd Fleischmann

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In ihrer Ausstellung auf der 15. Architekturbiennale Venedig 2016 (15. Mostra Internationale di Architettura, la Biennale di Venezia) zeigt Anupama Kundoo unter dem Titel Building Knowledge. An Inventory of Strategies im Arsenale die Konzeptstudien Full Fill Home und Easy WC (die ganze Geschichte steht in dem Blog Affordable Habitat 2015). Dazu kommen Materialproben, Modelle und Videos.

An den Wänden des Arsenale oder an der Decke und den Pfeilern darf nichts befestigt werden, daher muss alles freistehend und selbsttragend installiert werden. Für die Modelle sollten Podeste aus Pappelsperrholz 18 mm gebaut werden, das vor Ort manuell in Wischtechnik grau lasiert wird. Die Ästhetik nimmt Motive des Full Fill Home auf. Die Abmessungen sind variabel, sollten am Ende aber für alle Podeste gleich sein und das Plattenmaterial optimal ausnutzen, möglichst ohne nennenswerten Verschnitt. Der Materialeinsatz, die Arbeits- und die Transportkosten werden so minimiert – reduce to the max (smart, 1997). Nun wird das Material des Sponsors eingesetzt mit eine dafür geeigneten Konstruktion. Da sind dann die elementare Materialität des Holzes, die Unterstützung  kleingewerblicher Manufakturen, die Handwerksarbeit und das Gewicht kein Thema mehr.

Das ursprünglich vorgeschlagene Podest besteht aus zwei gleichen Seitenteilen mit je einer 6 mm tiefen Nut bis etwa halbe Höhe, einer halb so hohen Scheibe als Diagonalaussteifung und einer Deckfläche als Präsentationsebene. Die einzelnen Teile werden mit nur 6 selbstschneidenden Senkkopfschrauben mit Innensechskant 5 x 50 mm zusammengehalten und können am Ende für eine neue Anwendung zerlegt werden. Die 4 Bohrungen für die Verschraubung der Deckfläche werden vor der Montage ausgeführt. Für das passgenaue Einsetzen der Deckfläche wird jeweils von unten an dieses Teil eine Lehre angeschraubt, die auf beiden Seiten jeweils 18 mm schmaler ist. Die dabei entstehenden 3 Schraublöcher sind später kaum zu sehen – wer bückt sich schon und schaut drunter?

 

Lapsus

Gerd Fleischmann

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Ein Leerraum zuviel …

»… ein (oft geringfügiger) unwillkürlicher Fehler« tröstet Wikipedia. Ich hatte ein letztes Angebot erwartet und wusste von früheren Anbietern, dass sie ungerne Banner mit Hohlsäumen machen. Und wenn, dann lassen sie sich das auch bezahlen. Als ich dann in dem Angebot von dicolor den Preis der Position las, war ich überrascht – aber es war ohne Hohlsaum. Dachte ich, musste mir aber anhören, dass die Hohlsäume dabei sind.

Die Banner in Pos. 2 und die Rollups in Pos. 3 waren als Alternativen angefragt. Bei dem Preisunterschied und der Vergewisserung, dass das Format richtig ist, las ich nicht mehr weiter. Wie sollte ich auch. Die Position ist deutlich getrennt von den folgenden Zeilen. Da aber steht die Verarbeitung! Nach dem Gestaltgesetz der Nähe (was nahe beieinander liegt wird als zusammengehörig gesehen) kann die Zeile beim schnellen Lesen nicht mehr zu der Pos. 2 gehören. – auch, wenn alles dasteht.

Gestaltung kann man vielleicht nicht lernen, aber die fehlerfreie und möglichst leicht erfassbare Information. Eine Grundlage sind die Gesetzmäßigkeiten der Wahrnehmung, die nicht nur für alles Sichtbare gelten. So auch für Bücher – vor allen Regeln für dieses spezifische Medium.

 

Terror

Gerd Fleischmann

Wir trauern zu Recht über die Opfer von Paris. Wer aber denkt heute daran, dass es 1938 den Juden ähnlich ging, wie der Mehrheit heute? Jeder von uns ist bedroht. Was in Paris geschah, kann in Berlin, Hamburg, München oder Wien in gleicher Weise geschehen. Die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, war Staats-Terror. Das Deutsche Reich, wie das »Dritte Reich« hieß, war ein weltweit anerkannter Staat mit diplomatischen Vertretungen – ganz im Gegenteil zum IS. Auch wenn nur SA- und SS-Männer zerstörten, brandschatzten und mordeten, stand doch die gaffende Mehrheit herum oder hing aus den Fenstern, um die brennende Synagoge zu sehen, wie in dem Bild aus Bielefeld, das heute im Jüdischen Museum in Berlin zu sehen ist.

9 Jahre, bisher ein Monat Schule, insgesamt.

Gerd Fleischmann

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Schreibversuch. Ohne lateinische Buchstaben geht nichts.

Ein ehemaliges Gutsdorf in der Mecklenburgischen Schweiz. Vielleicht 80 Seelen. Teil einer Gemeinde mit 860 Einwohnern (September 2014). Dazu kamen nun 25 Flüchtlinge aus Syrien. Sie wurden im Rahmen einer privaten Initiative in einem Mehrfamilienhaus (einer Platte) untergebracht. Ein Unternehmen aus Rostock hat gerade pro bono Internet und W-Lan installiert. Männer, Frauen, ältere und Jugendliche – und ein Kind. Mit seinen neun Jahren hat der kleine Junge zuhause im umkämpften Deir ez-Zor im Nordosten des Landes seit Jahren keine Schule besuchen können. Heute ist die ehemalige Millionenstadt fast menschenleer. Auf der Flucht war er gerade einmal einen Monat in einem Lager in der Türkei einer Schule besucht. Er kann kaum arabisch schreiben. Unser Alphabet kennt er nicht. Die lateinischen Buchstaben malt er ab. Eine Frau aus der Gruppe, die mit Englisch sowohl Druckschrift als auch Schreibschrift gelernt hat, versucht, mit ihm die Strichfolgen und Formen unserer Buchstaben zu üben. Vielleicht gelingt es, dass er bald in eine Schule darf. Er will lernen. Alle warten darauf, anerkannt zu werden, um eine neue Existenz aufbauen zu können. Dann aber kommen andere. Der MV-Innenminister sieht nur Zahlen. Aber es sind einzelne Menschen. Einzelne Schicksale. Auf dem Handy haben sie nur Bilder ihrer Familien bei sich … Der Gemeinderat hat das Thema nicht auf der Tagesordnung.

 

 

 

Wertstoffhof

Gisela Fleischmann

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Sorry for the missing references. If you dislike the recycling of your photographs, please tell me: mail@handschriften-lesen.de.

Marktplatz des Vergänglichen in der Hitze eines Sommertages, idyllisch, mystisch, symbolisch.

Ein Platz in der Sonne, in praller Sonne, umgeben von Müll, Mief und Moder. In der Mitte das Büro der Platzverwaltung: ein Container mit Terrasse, Campingtisch und -stühlchen. Wer da sitzt, dem entgeht nichts. Die Chefs, ein Mann und eine Frau, geben freundliche Hinweise und Tipps, jedoch die Abfallentsorgungssatzung gilt es zu beachten. Im dreigestreiften Freizeitlook, also Schlappen, Jogginghosen (er kurz, sie lang), Tanktop, rauchen sie Selbstgedrehte und trinken Cola. Beide, Mitte 40, scheinen voller Überzeugung, Ordnung in eine Welt bringen zu können, die sich selbst schon längst aus den Fugen gehoben hat.

Verschiedenfarbige Wertstoffmulden stehen vis à vis der Platzverwaltung. Schrott, Elektronikschrott, Waschmaschinen, Herde, Kühlschränke, Altpapier, Kartonagen, Autoreifen ohne Felge, Autoreifen mit Felge, Plastik, Textilien. Nur solche Abfälle dürfen abgegeben werden, die in der Stadt angefallen sind, wo diese Anlage steht. Sofern Zweifel an der Herkunft der Abfälle entstehen, ist man verpflichtet, die Herkunft nachzuweisen, ggf. auch durch Vorlage der Ausweispapiere. Bei Gartenabfällen gibt es ein Problem. Holz und Grün darf nicht aus der ›Quarantänezone des Asiatischen Laubholzbockkäfers‹ kommen, eines Einwanderers seit etwa zehn Jahren. Ohne Fühler ist er zweieinhalb bis vier Zentimeter lang, mit Fühler dreimal so lang. Für seinen Einzug nach Europa nutzte er die österreichische Stadt Braunau am Inn. Von dort zog er weiter.

Nicht jedem fällt der Abschied von seinem alten Fernseher leicht, schließlich gewannen ›wir‹ auf diesem Bildschirm die WM. Der klappbare Heimtrainer dagegen fliegt fast von selber über Bord. Über dem Gelände ein Wind von Trauer und Unbekümmertheit.

Ruine der Künste Berlin: 365 Zeit-An-Sagen

Gerd Fleischmann

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Christian Chruxin (1937–2006): Plakat im Rapport, 1988, 29,7 x 83,8 cm

 

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CD mit allen Beiträgen., die der SFB 1996 gesendet hat

 

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Das Buch. Ephemera, Manna der Künste, Spuren des Projekts

Am 1. Januar 1988 startete Wolf Kahlen das Projekt 365 Zeit-An-Sagen im Lichtjahr NeunzehnhundertDoppeltunendlich 1988. Er hat Künstler, Wissenschaftler und Psychische Medien eingeladen, ihm ihre akustischen Beiträge zum Thema Zeit zu geben, die täglich wechselnd über einen Anrufbeantworter unter der Berliner Telefonnummern 831 34 35 abgehört werden konnten. Christian Chruxin (1937–2006) hat in seiner unverwechselbaren systematischen Bildsprache das Plakat dazu im Rapport gestaltet. Als digitale Rekonstruktion in Originalgröße ist es nun der Umschlag des Buches über das Projekt als Teil IV der Retrospektive 1985 Ruine der Künste Berlin 2015. In dem Buch mit Texten von Johannes Vincent Knecht, Wolf Kahlen und Peter P. Kajzar sind eine Vielzahl von sichtbaren Beiträgen, Skizzen, Briefen, Regieanweisungen und andere Ephemera, das Manna der Künste, abgebildet, die im Herbst in einer Ausstellung in der Ruine der Künste Berlin im Original gezeigt werden. Das Register liest sich wie ein Who is Who der Medienkunst der Zeit.

Aus Anlass des 30-jährigen Bestehens der Ruine der Künste Berlin wurde die Hörspielfassung der 365 Zeit-An-Sagen, die der Sender Freies Berlin (SFB) 1996 nach den originalen Audiokassetten und Angaben der Autoren im Rahmen der Hörgalerie produziert und gesendet hat, für die Freunde der Ruine neu aufgelegt.

Die Eröffnung der Ausstellung ist am Sonntag, 6. September 2015: Hittorfstraße 5, 14195 Berlin (Dahlem), 12:00–22:00 Uhr. Live Musik 17:00 Uhr. Als Gäste haben spontan zwei Vokalartisten zugesagt, an dem Tag für uns zu ›singen‹, die auch schon 1988 mit dabei waren: der DAAD-Gast von 1991, David Moss, mit seiner unglaublichen Sprechstimme und die Sängerin Arjopa, die tuvinischen Kehlkopfgesang meisterlich beherrscht. Von Wojciech Bruszewski wird das Video Sonety gezeigt, in dem er vor festlichem Konzertpublikum Sonette vortragen lässt, die ein Computer mit Zufallsprinzip ›gestaltet‹ hat. Das ist wie DADA, aber unernster (Wolf Kahlen).

Dazu wird das Buch 365 Zeit-An-Sagen in drei Ausgaben offiziell vorgestellt:

1  Klappenbroschur, 21 x 29,7 cm, 240 Seiten, 284 Abb., ISBN 978-3-927786-06-6. € 34,00

2  Klappenbroschur, 21 x 29,7 cm, 240 Seiten, 284 Abb., ISBN 978-3-927786-06-6. Mit einem Originalplakat (Christian Chruxin, 1988), 21 x 83,8 cm, gefaltet auf DIN A4, 100 Expl., € 64,00

3  Klappenbroschur, silberfarben, 21 x 29,7 cm, 240 Seiten, 284 Abb., ISBN 978-3-927786-06-6. Vorzugsausgabe, 250 Expl., nummeriert und signiert, mit CD – 8 Stunden 28 Min. 30 Sek., € 114,00

jeweils zzgl. Versand € 5,00

Zu bestellen über wolfkahlen@berlin.de

FestspielGesundheitsTourismusAutomat

Gerd Fleischmann

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Ein neues Tourismus- und Gesundheitsangebot in M-V: Zigaretten auf der grünen Wiese?

Auch, wenn die Studie umstritten ist: Ein Raucher wie der Sänger Udo Lindenberg verursacht Kosten in Höhe von durchschnittlich 90 483 Euro, eine Raucherin sogar 529 481 Euro.

Das aber ist wahr (politisch): Mecklenburg-Vorpommern hat sich zum Ziel gesetzt, Gesundheitsland Nr. 1 in Deutschland zu werden. Zwischen Ahlbeck und Zarrentin gibt es vielfältige Angebote in den Bereichen Bewegung, Ernährung, Entspannung, Früherkennung, Medical Wellness, asiatische und europäische Komplementärmedizin und Anti Ageing zu entdecken. Nun auch das Gegenteil. Na bitte.

Das Amt Seenlandschaft Waren, das nach der Kreisreform im neuen Landkreis Mecklenburgische Seenplatte aufgegangen ist, hatte 2012 die »Erarbeitung einer umfangreichen Fremdenverkehrskonzeption zwischen Müritz und Malchiner See im Bereich des Amtes Seenlandschaft Waren für die Gemeinden Moltzow und Schwinkendorf« in Auftrag gegeben, dessen Ergebnisse bis heute nicht sichtbar sind. Schwinkendorf als Gemeinde gibt es inzwischen nicht mehr. In Moltzow war es nicht einmal möglich, für die Ortsdurchfahrt Ulrichshusen den Wunsch nach Geschwindigkeitsbeschränkung auf 20 km/h für PKW und 10 km/h für Fahrzeuge über 7 t als Teil der Konzeption, die inzwischen »Tourismuskonzept« heißt, einzubringen. Das Mecklenburger Pflaster der Ortsdurchfahrt ist inzwischen ruiniert.

Schloss Ulrichshusen wird als »Einzigartige Spielstätte« apostrophiert. Das Titelbild des Tagesspiegel von Pfingsten 2015 zeigt den Blick auf das Schloss über den Burggraben mit Seerosen und Schilf aus der Website der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern. Das Bild ist auch der Aufmacher für Juni—Juli im Programmheft. Nun wurde dem Ensemble mit der unfertigen und kaum genutzten ›Pergola‹ und der im Rohbau dahindämmernden zweiten Scheune / Bullenstall / Orangerie / Museum neben der Konzertscheune eine einbeinige bunte Kiste zugefügt, die von Weitem ein Grafitto vermuten lässt: »tobaccoland Automatennummer 640879«. Zigaretten auf der grünen Wiese am Rand des Festspiel-Areals.

Die ›Tarnung‹ soll wohl Sprayer abschrecken. Die Montagehöhe und die Alterskontrolle über Personalausweis (alt und neu) erlauben zumindest Kindern nicht, sich Zigaretten zu ziehen. Die Kiste steht von morgens bis abends in der prallen Sonne und wirft ihren Schatten gegen die Linde daneben. Wer wird das Angebot nutzen? Für wen soll sich das auszahlen? Platz zum Anhalten wäre genug. Auch mit laufendem Motor, das Auto schräg zum Hang abgestellt. Gesundheit in der dritten Potenz. Aber kommt jemand aus dem Restaurant, um sich seine ›Sargnägel‹ hier zu ziehen? Erwarten die Konzertgäste im meist reiferen Alter und wohlsituiert dieses Angebot? Oder geht es dem Automaten am Ende so, wie den Kupferdachrinnen an der Konzertscheune und den bis vor kurzem nicht ersetzten Abdeckungen der Gehwegbeleuchtung rund ums Schloss? Genug Geld und Zigaretten, die einen Bruch lukrativ erscheinen ließen, dürften nicht drin sein. Der Schrottwert lohnt den Lärm nicht. Denkmalsch(m)utz?

Nachtrag: In der Ausgabe vom 30. Mai 2015 gibt Der Tagesspiegel Zahlen an. 2013 sind in Deutschland 46.332 Menschen an Krebserkrankungen gestorben, die Ärzte als Folge des Rauchens sehen. Davon waren 15.370 Frauen. Neben Lungen- und Bronchialkrebs sind auch Kehlkopf- und Luftröhrenkrebs Folgen des Tabakkonsums. Der Automat ist unschuldig!?

tgm 125 Jahre

Gerd Fleischmann

Herbet Spencer: Titel der Zeitschrift Typographica, No. 5, 1952, mit einem Beitrag von max Bill: Typography to–day.

Herbet Spencer: Titel der Zeitschrift Typographica, No. 5, 1952, mit einem Beitrag von max bill: Typography to–day. Archiv Marzona, Berlin.

Geschichte als Selbstvergewisserung: Purpose and Pleasure. Nützlichkeit und Schönheit, wie Hans Eckstein Design sieht oder Yasha Mounk das Ziel von Bildung. Ein Vorschlag an die tgm, die Typografische Gesellschaft München: … sicher sind die Überlegungen, wie das Jubiläum gefeiert werden soll, noch nicht in Blei gegossen – um im Bild zu bleiben. Bei der Aufgabe, die Geschichte der Typografie von 1890 bis heute darzustellen, geht mir durch den Kopf: Für wen und wozu? Was ist das Ziel, in welcher Form und in welchem Umfang, welcher Tiefe soll das geschehen? Beschränkt auf Deutschland?

Ich denke, das Thema sollte innerhalb der etwa 1.200 Mitglieder der tgm in fünf Runden nach dem Konzept der Schwarmintelligenz bearbeitet und keine One-Man-Show werden.

1. Runde: Stichwörter sammeln, die zur Darstellung der Geschichte der Typografie von 1890 bis heute behandelt werden sollen – die Liste unten ist ein erster Kristallisationskern. / 2. Runde: Mitglieder übernehmen einzelne Stichwörter. Bei Mehrfachbewerbungen werden Gruppen gebildet. / 3. Runde: Artikel und Bildstrecken zu den Stichwörtern, die von einzelnen Mitgliedern oder auch mehreren verfasst werden. / 4. Runde: Lektorat und redaktionelle Bearbeitung. / 5. Runde: Korrekturen und Freigaben – im Netz bleibt die Geschichte weiter offen für Ergänzungen.

Die erste Runde würde der Vorstand der tgm einleiten mit einer eMail-Einladung an alle Mitglieder und der ersten Liste von Stichwörtern, die ich vorbereite. Wer nur auf Papier zu erreichen ist, wird informiert und eingeladen, kann aber nur dann teilnehmen, wenn er oder sie für die weiteren Runden einen Account nutzen kann. Ergebnis soll sein, dass die Liste der Stichwörter ergänzt, korrigiert und geschlossen wird. / Die zweite Runde ist die Stunde der Wahrheit: Finden sich innerhalb der tgm genug Autorinnen und Autoren, die für Gottes Lohn Beiträge schreiben, Abbildungen und die zugehörigen Rechte besorgen? Wenn das nicht der Fall ist, dann bleibt die Geschichte ein Fragment. Die fehlenden Stichwörter könnten dann in Form von Kurzvorträgen oder Zwischenrufen auf der Veranstaltung ergänzt werden. / In der dritten Runde sind die einzelnen Autorinnen und Autoren auf sich gestellt, wenn sie nicht da Glück haben, Partner zu ihren Stichwörtern gefunden zu haben. / Die vierte Runde ist eine Herausforderung für mich – ich hoffe, ich bin gescheit genug für das Lektorat. / Die fünfte Runde bietet die Chance, gemeinsam Fehler zu korrigieren werden, da nun alle Bearbeiterinnen und Bearbeiter alles lesen können – und sollen. Wer das Ergebnis präsentiert und wie wird sich aus dem Prozess entwickeln.

Dazu hätte ich Lust. Alleine mich hinzusetzen ist auf der einen Seite langweilig, auf der anderen würde mir die Zeit fehlen, die 125 Jahre Geschichte der Typografie kompetent, verständlich und auch noch interessant darzustellen. Hier nun eine erste Liste von Stichwörtern:

Der typografische Alltag 1890
Buchkunstbewegung
(William Morris, Carl Ernst Poeschel, Harry Graf Kessler)
Pan
Simplizissimus
Les mots en liberté (Filippo Tommaso Marinetti)
›Kriegserfrischungen‹ (Stollwerk-Anzeige in der Osnabrücker Zeitung 1914)
Dada
Bauhaus
Avantgarden in Europa – nicht nur in Deutschland
Officina Bodoni
The Crystal Goblet (Beatrice Warde aka Paul Beaujon, 1932)
Typografie im NS-Staat
Schrifterlass 1941
USA (Herbert Bayer, Ladislav Sutnar)
Max Bill ./. Jan Tschichold 1946
Penguin paperbacks
BILD
rororo
Helvetic
Swiss
Ulm
Twen
Fotosatz
Macintosh
New Wave
Wolfgang Weingart trifft April Greiman am Strand von Venice, CA.
DTP
1989 »Fotosatz, täuschend ähnlich nachgemacht.« (Erik Spiekermann als Juror beim 2. PAGE-Wettbewerb)
FontShop
David Carson
Typolexikon (Wolfgang Beinert)
Thinking Form
functional = organic
e-Books
P98A

Die tgm ist in ihrem Gründungsjahr in guter Gesellschaft: 1890 wurde der »Abwehrverein« gegründet, der Verein zur Abwehr des Antisemitismus und der Deutsche Hugenotten-Verein – das Ende des 19. Jahrhunderts war die Zeit der Vereinsgründungen.

Vergeblich: »… wir haben das mit einigen Aktiven der tgm etwas hin- und her überlegt, fanden aber unter den Mitgliedern kaum welche, die mitmachen würden oder dazu auch fähig wären.« Rudolf Paulus Gorbach, 2015-02-07. Schade.

Funktional. Nachhaltig. Schön.

Gerd Fleischmann

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Gasbetriebene Gas- oder Kerzen-Anzünder. Welchem würde in einem Greiftest der Vorzug gegeben?

Andrea Palladio fordert im ersten Kapitel des ersten Buches seiner Quattro libri dell’architettura (Venedig 1570): »Bei jedem Bau sollen, wie Vitruv lehrt, drei Dinge beachtet werden, ohne die ein Gebäude kein Lob verdient. Diese drei Dinge sind: der Nutzen oder die Annehmlichkeit, die Dauerhaftigkeit und die Schönheit. […] Annehmlichkeit erzielt man, wenn jedem Teil der ihm angemessene Ort und die Lage zugeteilt werden, die weder geringer sein dürfen, als es seine Würde verlangt, noch größer als es seinem Gebrauch zukommt. […]

Dauerhaftigkeit wird dadurch erreicht, dass man alle Mauern lotrecht errichtet, sie unten breiter als oben macht und mit guten und ausreichenden Fundamenten versieht. Darüber hinaus müssen die Säulen genau übereinander stehen und ebenso alle Öffnungen wie Türen und Fenster, damit Gemauertes über Gemauertem und Leeres über Leerem zu stehen kommt.

Schönheit entspringt der schönen Form und der Entsprechung des Ganzen mit den Einzelteilen, wie der Entsprechung der Teile untereinander und dieser wieder zum Ganzen, so dass das Gebäude wie ein einheitlicher und vollkommener Körper erscheint.«

Das gilt für jedes Ding: Es muss funktional, nachhaltig und schön sein. Funktional heißt dabei soviel wie: Es erfüllt seinen Zweck, ist gut zu gebrauchen und im Gebrauch angenehm. Um nachhaltig zu sein, muss ein Ding vor allem lange halten und nicht auf Versagen kurz nach der Garantiezeit gebaut sein, wie die immer wieder zitierten Milchschäumer. Schönheit ist zunächst eine Formfrage, hängt aber immer mit dem Gebrauch zusammen. Eine Treppe etwa ist erst wirklich schön, wenn sie auch angenehm und sicher zu begehen ist. Was für die Dinge gilt, sollte auch jede Gestaltung erfüllen.

Mit beiden gasbetriebenen Anzündern auf dem Bild, links Premium Stabfeuerzeug Metall 18 cm [Länge bzw. Höhe] von Relaxdays  in schwarz, rechts Bengt Ek 99 Kerzen-Feuerzeug, schwarz von Bengt Ek lässt sich Feuer machen. Auf den ersten Blick jedoch sehen sie wie Gegenstände aus verschiedenen Kategorien aus. Der linke erinnert eher an ein Schreibwerkzeug. Oben und unten ist auch schnell vertauscht, wenn man ihn aus der Schublade nimmt. Der rechte dagegen ›sagt‹ auf den ersten Blick, wo oben und unten und was zu tun ist, umso mehr, wenn man ihn an dem gummibeschichteten Griff anfasst. Dazu kommt, dass dieser mit dem frechen Auge im Griffbereich rutschfest ist, während der linke durchgehend die gleiche glatte Oberfläche aus pulverbeschichtetem Stahlblech hat. Nachhaltig aber ist keiner von beiden, da immer wieder Gas nachgefüllt und nachgekauft werden muss. Die Kartusche ist Müll. Schön? Der rechte ›spricht‹, die beiden Zonen sind etwa gleich hoch, der Feuerstab rund, der Griff flach elliptisch, der Knopf gedrungen elliptisch und auch leicht konkav gewölbt. Dazu hat er feine Noppen gegenüber der einfachen Riffelung des linken. Im Greiftest gewinnt er immer, weil er gegliedert ist, Tank und zugleich Griff, ein beruhigend weit entfernter Flammenaustritt am Ende des schlanken Aktionsstabes, unmittelbar zu erleben, bevor überhaupt eine Flamme zu sehen ist und ein eindeutiges und durch die Farbe einladendes Bedienelement.

Orange werden eine Reihe positiver Wirkungen und Bedeutungen zugeschrieben.

Warum nicht einfach die gewohnten Streichhölzer nehmen? Keine Raubbau. Kein Nachfüllen. Kein Abfall. Kaum Kosten – und das Geschick bleibt in den Fingern.

 

Zweimal Andechs

Gerd Fleischmann

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Es ist nur konsequent, wenn hier die alte Rechtschreibung mit einem merkwürdig verdrückten scharfen s Urständ feiert. Der Unterschied im Gebrauch von rundem und langem s ist gesehen, nicht aber, dass dann »si« eine Ligatur sein sollte.

Der Zettel, der in der Klosterkirche Andechs zum Aufgang zum Turm weist, ist sicher mit Hingabe und Herzblut geschrieben, auch wenn nicht alles so ist, wie es in der deutschen Schreibschrift sein sollte, in der es für das Euro-Zeichen (noch) nichts gibt. Erstaunlicher noch sind die roten Zierstücke, die der Avantgarde-Grafik der 20er Jahre entlehnt sind, der ›Balkentypografie‹ des frühen Bauhaus. »Schöne Aussicht[en]!«

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Karljosef Schattner oder Carlo Scarpa hätten ihre Freude an dieser leichten und effektiven Hofüberdachung ohne Luftabschluss …

Ganz anders und berauschend ist die Alt-Neu-Lösung im Hof zwischen der Wallfahrtskirche und dem Konvent. Ein filigranes Glasdach überspannt fast ohne Berührung die barock überformte spätgotische Mauer des Kirchenschiffs und die viel spätere des gegenüberliegenden Konvents. Ein wunderbares Beispiel, wie mit einem schützenswerten Denkmal Bedürfnisse der Gegenwart erfüllt werden. Die Lösung, das »additive Fügen des Neuen zum vorhandenen Alten«,  lässt an die Bauten von Karljosef Schattner in Eichstätt denken, vor allem an den Ulmer Hof  – auch wenn der ganz anders aussieht. Sein Credo lässt sich in drei Sätze fassen: »Ich meine, dass der Dialog zwischen dem Heute und Gestern notwendig ist und eine Auseinandersetzung zwischen beiden stattfinden muss. Die Anpassung und noch so geschickt verpackte Imitation wird vorhandene historische Architektur entwerten. Wir kommen nicht umhin, mit unseren Mitteln, unseren Konstruktionen durch den Horizont unserer Zeit begrenzt, unsere Aufgaben zu lösen. / Wir werden dabei erfahren, dass durch eine Nachbarschaft moderner Architektur neue Anregungen für das Wahrnehmen, das Erkennen bislang unbekannter Eigenschaften historischer Architektur möglich gemacht wird.«

Nobody knows… update

Gerd Fleischmann

Das ganze paper zum Download: B-A-U-H-A-U-S.  Die Buchstabenformen und der vertikale Schriftzug waren (und sind) offenbar sehr beliebt. Der Name der Gaststätte KORNHAUS am Elbebogen in Dessau-Roßlau von Carl Fieger, das am 6. Juni 1930 eröffnet wurde, wiederholte auf einem kastenförmigen, beleuchteten Fahnenschild links über dem Eingang die Buchstabenformen des BAUHAUS-Schriftzuges und die Anordnung von oben nach unten, wobei der Wortteil HAUS fast identisch ist. In der Gesamtwirkung allerdings schwächt die Form dieser Beschriftung die Wirkung eher ab, da keinerlei innere Bezüge gegeben sind. Nur, wenn man den Namen der Gaststätte bereits kennt, reichen K, O und vielleicht R – sonst muss man von oben nach unten buchstabieren. Sehr viel leichter war der Name von der Elbe aus zu lesen, wo das Wort in aufgeständerten Einzelbuchstaben mittig auf dem Dach stand. Im Gegensatz dazu ist die viel zu eng gesetzt Versal-Zeile BAUHAUS über dem Haupteingang weit schlechter lesbar als der Schriftzug an der Fassade. Die Tendenz zur geschlossenen Form, die da aus A und U jeweils ein Oval erscheinen lässt und damit die Anzahl der Figuren reduziert, ist in der waagerechten Form nicht erkennbar. Das wird in einem arte-Film von 2000 deutlich, in dem immer wieder dieser Eingang gezeigt wird.

Stumme Zeugen

Gerd Fleischmann

Schmiede Rothenmoor Foto ©2014 Angela Stolz

Schmiede Rothenmoor Foto ©2014 Angela Stolz

»Wider den Zeitgeist versuche ich, das traditionelle Schmiedehandwerk zu erhalten.« / »Aller Kunst muss das Handwerk vorangehen.« / »Zweckmäßigkeit und Schönheit müssen eins sein.«

Diese Leitsätze bestimmten das Tun von Wolfgang Döbler (1952–2013), dessen Werkstatt in der historischen, denkmalgeschützten Schmiede an der Deutschen Alleenstraße in Rothenmoor in der Mecklenburgischen Schweiz, die einmal zum gleichnamigen Gut gehörte, Angela Stolz in Fotografien festgehalten hat, bevor sie aufgelöst wurde.

Mir ging bei der Vorbereitung des Buches dazu La petite forge in Raveaux in der Nähe von La Charité sur Loire durch den Kopf, wo Katrin Pabion das Werk ihres Vaters Hans ›Giovanni‹ Grohé zeigen möchte. Die ehemalige Schmiede liegt an einem der Jakobswege – ein idealer Ort für die Präsentation der Zeichnungen und Skupturen, auch wenn der Künstler zeitlebens mit der Amtskirche haderte.

 

Zu Ihrer Information …

Gerd Fleischmann

Klickt man auf der amazon.de-Seite mit dem Taschenbuch BWL Basiswissen: Ein Schnellkurs für Nicht-Betriebswirte von Volker Schultz die Funktion »Blick ins Buch« an, blendet der Versender ein: »Sie sehen die Vorschau der Kindle Edition. Eine Vorschau der Druckausgabe (Taschenbuch Ausgabe) ist aktuell nicht verfügbar.« – und wird es wohl nie geben. Die elektronische Version passt auch besser in den Plan, Inhalte papierlos in der Cloud verfügbar zu haben – jederzeit und (fast) an jedem Ort.

Auf dem Kindle können ausschließlich eBooks von Amazon im Format mobi gelesen werden. Downloads von buecher.de (eBook, ePUB) sind damit ausgeschlossen – wie umgekehrt auch. Aber das ist nicht anders bei Schneidmessern von Rasenmähern. Da hat auch jeder Hersteller zu (fast) jedem Modell seine eigenen Formate. Nebenbei: Das Logo der buecher.de GmbH & Co KG mit Sitz in Augsburg verspricht eine URL mit Umlaut, tatsächlich aber funktioniert nur »buecher.de«. Schlecht beraten.

Als Typograf ärgert mich der Blick ins Buch auf der Website. Blauviolette Zeilen in Georgia fett, fett kursiv, kursiv und Standard, verschiedene Größen in einer merkwürdigen Anordnung. Die Unterstreichungen suggerieren Links. Tatsächlich erhält man bei allen Zeilen aber die gleichen Seiten zur Ansicht und am Ende die Aufforderung »Jetzt das eBook kaufen oder Details dieses eBooks im Kindle-Shop anzeigen«. Da allerdings ist Ende: »Sie suchen nach etwas Bestimmtem?  / Tut uns Leid: Die Web-Adresse, die Sie eingegeben haben, gibt es auf unserer Website nicht. / Zur Amazon.de Homepage«.

Blick ins Buch – die gedruckte Version ist nicht verfügbar, nur, was vom eBook übrigbleibt.

Blick ins Buch – die gedruckte Version ist nicht verfügbar, nur, was vom eBook übrigbleibt.

Die Diskussion um das gedruckte und gebundene Buch aus der Buchhandlung um die Ecke gegenüber dem Download des elektronischen Dokuments mit dem gleichen Inhalt aus dem Internet erinnert mich an die Bauern, die vor bald 180 Jahren mit Mistgabeln gegen die erste Eisenbahn zwischen Nürnberg und Fürth vorgehen wollten. In der fauchenden, zischenden und ratternden Maschine sahen sie auch den Leibhaftigen. Jede Innovation wird erst einmal abgelehnt … auch das Telefon, das Fax, Computer oder heute (noch) die Cloud. Wer will, kann auch heute noch mit der Hand schreiben, zu Fuß gehen oder mit der Kutsche fahren.

Klaus Steack sagt auf einem der Plakate der Ausstellung Die Kunst findet nicht im Saale statt »nie mehr amazon« und vermittelt mit der aufgerissenen Wellpappe einen völlig falschen Eindruck. Die Verpackungen von Amazon sind perfekt und nicht immer aus Wellpappe.

Warum zeigt er nicht das, was wirklich dahinter steckt und was er vermutlich kritisieren will, ein Lager, eine Verpackungstraße, eine Lohnabrechnung, eine Gegenüberstellung der Steuertarife in der Bundesrepublik Deutschland und der parlamentarischen Monarchie Großherzogtum Luxemburg / Groussherzogtum Lëtzebuerg / Grand-Duché de Luxembourg, wo Amazon EU S.A.R.L. mit einem Stammkapital von € 37.500 registriert ist?

Der Skandal ist nicht Amazon, sondern die Schlafmützigkeit oder die Lobby-Hörigkeit der Politik. Denn nur so ist es möglich, dass Amazon für seine Geschäfte in Deutschland hier nicht steuerpflichtig ist. Und so ist es auch möglich, dass Amazon weiter Kosten spart, wenn die Logistik dahin verlegt wird, wo die Lohnkosten ohnehin niedriger sind als in Deutschland und kein Mindestlohn gilt, abgesehen von anderen Vorteilen, Grundstückspreisen, Infrastruktur, Subventionen …

Die Ökobilanz der Logistik ist das eine, das Argument mit dem ›Buchhändler um die Ecke‹ das andere. Wollte ich wegen eines Buches für € 6,90 zum Buchhändler, würde ich auch mit einem politisch korrekten Auto mit 100 g CO2/100 km 44 g CO2 abgeben, nicht gerechnet die Lärmbelastung, meine Zeit und die Kosten für die Fahrt. Also doch Amazon oder bücher.de und Post, die ohnehin kommt.

Aktueller Nachtrag: Wir alle sind Händler. Und es geht immer um Prozente und Geld. Auch dem Verlag C. H. Beck, der das Buch sicher nicht nur wegen der Qualität in Rumänien setzen ließ. Die Referenzen lesen sich wie das Who’s Who der deutschen Verlagslandschaft.

 

Nobody knows…

Gerd Fleischmann

wohl jede und jeder, die oder der das bauhaus dessau besucht und eine kamera oder ein handy dabei hat, fotografiert die fassadenbeschriftung an der stirnseite des werkstattflügels, die nach südsüdost zeigt. das geht bis zu selfies mit B-A-U-H-A-U-S im hintergrund. da das jeweils nur für einen moment ist, bemerkt kaum eine oder einer, dass die schatten, die die sieben versalien werfen, über den tag von links nach rechts wandern.

das fängt im hochsommer etwa um 7:00 uhr an und dauert bis gegen 16:30 uhr. danach liegt die fassade wieder grau im schatten. eine webcam in der bibliothek der hochschule anhalt gegenüber könnte die bewegung der schlagschatten von jetzt bis 2019 als werbung für 100 jahre bauhaus zeigen, weltweit und (fast) umsonst. und die besucherinnen und besucher, die kaum auf das gebäude und die ›reklame‹ schauen und schnell ein foto machen, um das bauhaus zu ›besitzen‹, als botschafterinnen und botschafter für das jubiläum gewinnen.

schatten waren seit der renaissance ein thema der kunst, vor allem aber auch der avantgarde-fotografie und des neuen bauens. der schatten des neuen lichtmastes auf der fläche vor der fassade wirkt wie eine sonnenuhr. es fehlt nur die skala auf dem pflaster.

wenn die selfies mit der fassadenschrift eingeschickt und postkartengroß mit namen und adresse auf einer ständig wachsenden wand bis zum jubiläum gesammelt würden, hätte die stiftung bauhaus über alle facebook-likes ein einzigartiges dokument und ein begeistertes publikum.

die ironie der geschichte: ende 1926, als die fassadenbeschriftung entstand sein muss, zumindest der entwurf, verlangt herbert bayer in seinem beitrag ›Versuch einer neuen Schrift‹ im oktoberheft der zeitschrift Offset, in dem er seinen versuch einer universal-schrift vorstellt, die »Komposition aller Staben in den primären Formen Kreis, Quadrat, durchgehend gleiche Balkenstärke, nur ein Alfabet, also nicht eines mit Großbuchstaben und eines mit Kleinbuchstaben«. er begründet das mit dem hinweis, »daß [die] Beschränkung auf ein Alfabet große Zeit- und Materialersparnis bedeutet (man denke nur an die Schreibmaschine)«.

walter gropius erwähnt die fassadenbeschriftung nicht. Er schreibt in dem buch bauhaus bauten dessau (Bauhausbücher 12, 1930) zur beschriftung nur in einer fußnote auf Seite 12 »… die wandmalerei übernahm die äußere und innere farbige gestaltung der bauten und die druckerei die beschriftung.« und auf Seite 15 im text: »die beschriftungen führte die druckereiabteilung des bauhauses aus.« leiter der neu eingerichteten werkstatt für druck und reklame war herbert bayer.

»warum großschreiben, wenn man nicht groß sprechen kann?« (Herbert Bayer, 1926)

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July 20, 2014, 11 am: Nobody knows / whether Walter Gropius / or Herbert Bayer / had the shadows / in mind…

 

 

Verschenkt

Gerd Fleischmann

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Weidemilch

Der digitale Setzkasten bietet mehr als der DUDEN. Um Bedeutungen zu unterscheiden oder Inhalte hervorzuheben, gibt es neben den ›Tüttelchen‹, den einfachen, den doppelten, den deutschen und den französischen Anführungszeichen kursiv, halbfett und fett – wenn man in einer Schriftfamilie bleiben will. Die Logik des ersten Absatzes auf der blauen Milchverpackung leuchtet bei genauem Hinsehen nicht ein, wenn mit dem Begriff ›Weidemilch‹ dafür geworben werden soll, dass die Kühe draußen herumlaufen und frisches Gras fressen. Dass sie in der Eider-Treene-Sorge-Region (wie es richtig gesetzt werden sollte) zu Hause sind, heißt noch lange nicht, dass sie auf Weiden stehen und fressen. Das ist Werbetext. Dass aber das Schlüsselwort zweimal in der gleichen Form zu sehen ist, macht nichts Besonderes aus der apostrophierten Weidemilch. Je öfter ich das lese, desto mehr drängt sich der Wahn auf, ob wohl die Weide gemolken wird und Milch gibt. Ich kenne Kuh-, Ziegen-, Schafs- und Eselsmich, um nur ein paar zu nennen.

Um den Werbebegriff hervorzuheben, wäre gerader Satz für den Text und Weidemilch kursiv weit attraktiver als ihn bei der zweiten Nennung mit doppelten Anführungszeichen zu garnieren. Im dritten Absatz kommen diese dann noch einmal vor, vorne allerdings mit einem Wortzwischenraum zuviel. Um das Argument im dritten Absatz zu verstehen, müsste man wissen, wohin die Milch transportiert wird – und was kurz oder gar »extrem kurz« heißen soll.

Für die Käufer entscheidet am Ende der Preis, wenn in einem Supermarkt in Lüneburg oder Rostock daneben Bärenmarke, Milch aus dem Allgäu, steht.

Mehr zu ›Tüttelchen‹ und den Reichtum des Gebrauchs typografischer Zeichen und Formen zur Orientierung in Texten und zur Klärung von Inhalten  in meinem Beitrag auf der TURN DESIGN Conference 2014 in München.

Typografie. Schafft Klarheit!

Großgörschen 35, zum Zweiten

Lorenz Frank (d. i. Gerd Fleischmann)

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Szene am Rande der Eröffnung der Ausstellung Bernd Koberling bei Großgörschen 35 am 15. Januar 1965 – das ganze Bild, aus dem die Veranstalter den Künstler geschnitten haben.

Die Erinnerung an die Gründung der ›Selbsthilfegalerie‹ junger Berliner Maler vor fünfzig Jahren (1964) in einer ehemaligen Tischlerei im Quergebäude des Hauses Großgörschenstraße 35, 2. OG, in Berlin-Schöneberg ist nun eine Veranstaltung der Kommunalen Galerien Tempelhof-Schöneberg von Berlin und der Kunststiftung Poll im Haus am Kleistpark, Grunewaldstaße 6–7. Und alle sind dabei – auch die, die zu dem Ort sagten: »Ja, aber das Ganze muss Format haben.« / »… zu popelig.« / »Das Niveau muss stimmen.« / »Das Haus am Kleistpark ist Künstler-Nothilfe. Da sollte Großgörschen 35 nicht wieder anfangen.«

Der Grund und Anlass der Veranstaltung ist auf den Drucksachen grafisch gekünstelt versteckt. Dominant erscheint als Titel eine Behauptung, die nichts mit den Absichten der Gründer von Großgörschen 35 zu tun hat: »Aufbruch zur Kunststadt Berlin 1964«. Um diese Behauptung zu verstärken, wurde das Imagebild in Farbe getaucht und verändert – ohne Zustimmung des Urhebers, der nicht einmal gefragt wurde. Dabei müssten alle Beteiligten als Kulturmanager § 62 UhrG (Änderungsverbot) kennen, wo es in Ziff 1 heißt: »Soweit nach den Bestimmungen dieses Abschnitts die Benutzung eines Werkes zulässig ist, dürfen Änderungen an dem Werk nicht vorgenommen werden. § 39 gilt entsprechend.« Im Zusammenhang mit der Diskussion über das ›Freihandelsabkommen‹ (Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft [THIP] bzw. Transatlantic Trade and Investment Partnership [TTIP] oder auch Trans-Atlantic Free Trade Agreement [TAFTA]) und den gravierenden Unterschieden auch im Urheberrecht diesseits und jenseits des Atlantik sollten eigentlich alle Teilnehmer am Kulturbetrieb aufgewacht sein.

Im Budget des Projektes, das von der Lotto Stiftung Berlin mit € 49.000,00 unterstützt wird, waren nach Aussage der Galerieleiterin keine Bildnutzungshonorare vorgesehen. Die Frage ist: Sind die Verantwortlichen so dumm oder einfach nur dreist? Das gilt auch für die Änderungen. In einem Fall ist das besonders ärgerlich, weil auch in der Bildlegende eines nun völlig belanglosen Fotos (Künstler mit Zigarette vor dunklem Fenster) nicht darauf hingewiesen wird, dass es sich um einen Ausschnitt handelt. Wer auch immer die ›Schöne‹ neben Bernd Koberling ist – das Foto zeigt beide vor einem nachtschwarzen Fenster, links und rechts jeweils ein Streifen weiß gestrichenen Mauerwerks, in das rechts der Arm von Koberling ragt.

Nachdem die Bildnutzungsrechte für den Print-Bereich geklärt waren, schrieb die in dem »kleinen G53-Vorbereitungsteam ehrenamtlich für die Öffentlichkeitsarbeit/Werbung« Verantwortliche: »Wir dürfen davon ausgehen, dass wir das Motiv der gedruckten Einladung auch für den Email-Versand verwenden dürfen?« Mitnichten. Die Galerieleiterin ist dann schnell zurück gerudert: »Wir respektieren, dass Sie für die Online-Nutzung Ihrer Fotografien reguläre Honorarzahlungen erwarten. Leider ist der finanzielle Rahmen für Bildrechte mehr als ausgeschöpft, so dass wir Ihre Fotografien von der Online-Präsentation ausnehmen werden müssen. Ich selber bin im ersten Beruf Fotografin und weiß nur zu gut um die Bedeutung der Honorierung bei der Veröffentlichung von Bildmaterial.« Also doch. Oder eine späte Einsicht?

Die Gestalter/innnen der Drucksachen sollten die Autoren oder Bildbeschaffer auf solche Fragen hinweisen. In eigener Sache sind sie ja auch pingelig (trotz Fehler im Text) und betonen, dass das »maßgebliche Recht der Bundesrepublik Deutschland« für sie gelte.

100 Jahre danach

Gerd Fleischmann

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Entwurf Blog Franz Vogt. Realisierung Design to Media · Sarah Rattmann

Franz Vogt war vom ersten bis zum letzten Tag des Ersten Weltkriegs als einfacher Soldat im Dienst und hat überlebt. In der Geschichte namenlos – wie mein Großvater, der Wagner, Kolonialwarenhändler und Limonadenfabrikant Christoph Nutz (1881–1964) in Roth am Sand, wie es damals noch hieß. Roth ist heute einer der größten Standorte der Bundeswehr in Bayern. Dieser Großvater ist mein Bild vom Krieg. Zeit seines Lebens musste er jeden Tag eine Wunde am linken Unterschenkel verbinden, die nie verheilte. Er war vor Verdun in einem eingestürzten Haus verschüttet worden und ein Deckenbalken hatte ihm das Bein eingeklemmt. Mehr hat er nicht gesagt – und als Kinder trauten wir uns auch nicht zu fragen. Die Geschichte war tabu. Keiner durfte in das Zimmer, wenn er sein Bein auf den Schreibtisch legte und den Verband wechselte.

In jeder Familie hat es Trauer und Verletzungen gegeben. Die Schrecken des Krieges aber haben weitere Waffengänge nicht verhindert. Und das Geschäft mit Waffen lockt nach wie vor. Die scheinheilige Vokabel ›Arbeitsplätze‹ dient als Feigenblatt. Die Schätzungen zur Gesamtzahl der Toten im Ersten Weltkrieg gehen von 9 Millionen bis hin zu 16 Millionen. Von diesen starben fast 7 Millionen Menschen in Gefechten und Kämpfen – für das jeweilige Vaterland. Keine Rede von den Müttern. Weitere zwei Millionen Kriegstote gehen auf Unfälle, Krankheiten und die Internierung in Kriegsgefangenenlagern zurück.

Die Tagebücher, Postkarten und Fotografien des Gefreiten Franz Vogt liegen nun seit 70 Jahren in der Schublade. Kaspar Wesseler sel. aus Dratum, heute ein Ortsteil von Melle in Niedersachsen, hat sie neben anderen, damals von den meisten für wertlos erachteten Dokumenten aufbewahrt und 1978 Gisela Wehmeier übergeben, die sie transkribiert, lesbar gemacht hat.

Die »Kriegserlebnisse« von Franz Vogt, Kaufmann in Gesmold und Gefreiter der Landwehr (1879–1944) werden auf den Tag genau, jeweils nach 100 Jahren, vom 2. August 2014 bis zum 16. Dezember 2018 veröffentlicht. Sie beginnen am 2. August 2014 mit dem ersten Eintrag von Franz Vogt vom 2. August 1914. Damit soll einer der Millionen Namenlosen aus dieser Katastrophe eine Stimme erhalten.

Götter im Müll

Gerd Fleischamnn

14straßentempel

Stille Götter, umgeben von Müll und Lärm, New Delhi, 12. Februar 2014

14neat&clean

“We promise you a neat & clean Delhi”, Wahlwerbung in der neighbourhood des Sri Aurobindo Ashram, Delhi Branch, 12. Februar 2014

Sammlung von kleinen Götterbildern und -skulpturen an einem Baum an der Straßenecke in New Delhi, wo man von der Sri Aurobindo Marg zum Sri Aurobindo Ashram abzweigt – liebevoll vom Müll getrennt. Dagegen eine Wahlwerbung, die verspricht, Delhi gepflegt und sauber zu machen. Der Zustand des Plakates allerdings widerlegt das Versprechen schon vor der Wahl, beide am 12. Februar 2014 …

Obszön

Gerd Fleischmann

Subodh Gupta: Ray, 2012 Edelstahl, 400 x 400 x 600 cm

Subodh Gupta: Ray, 2012
Edelstahl, 400 x 400 x 600 cm

Im Hof der National Gallery of Modern Art in New Delhi steht auf einer Rasenfläche ein sechs Meter hoher Haufen glänzender Edelstahl-Küchengegenstände, die wie in einem Strahl aus einem überdimensionierten Eimer geschüttet zu werden scheinen. Alle Teile sind über einer nicht sichtbaren Tragekonstruktion zusammengeschweißt. Nur einzelne Deckel lassen sich noch bewegen. Der Titel der Skulptur (oder des Machwerks) von Subodh Gupta ist Ray, Strahl, Lichtstrahl. Die Arbeit gehört zu der Einzelausstellung des Künstlers Everthing is Inside, die Germano Celant kuratiert hat, der Pate der arte povera.

Die Skulptur ist von der Straße aus nicht zu sehen. Vielleicht auch, um den Zorn nicht anzuziehen. In der Ausstellung selbst sind dann für Transporte von Sackballen zweckentfremdete Einkaufswagen großzügig präsentiert, vergoldet oder golden angestrichen und die abgeformte Ladung silbrig gegossen, in einem Raum eine runde Hütte aus getrockneten Kuhfladen, die unmittelbar an die Iglus von Mario Merz erinnert – bei allem ein Gefühl des déjà vu.

Das Museum liegt in einer ruhigen Gegend mit Parks und Gärten in der Nähe des India Gate. Nichts erinnert hier an die Garküchen und den Lärm in Old Delhi oder die Armen, die unter fly roads hausen und sich ihr weniges Essen in altem, verbeultem Aluminiumgeschirr zubereiten. Für den Kunstmarkt ist wohl Edelstahlgeschirr das Markenzeichen von Subodh Gupta. So unterstützt auch Hauser & Wirth, Zürich, London und New York, wo er unter Vertrag ist, die Ausstellung. Arbeiten, die einmal in einem Museum gezeigt wurden, sind dadurch ›geadelt‹ und steigen in der Regel im Preis.

Das Ganze wäre keine Kunst und auch nicht zu handeln, wenn Gupta das Geschirr den Leuten schenken würde, die es gebrauchen können, anstatt es zu zerstören und das unbrauchbare Ganze dann denen zu verkaufen, die ohnehin nicht wissen, wohin mit dem Geld. Er könnte auch zu jedem Topf, den er zu Kunst verarbeitet oder verarbeiten lässt, einen gleichen verschenken. Dabei liefe er aber Gefahr, dass ihm bewusst wird, wie hohl sein Treiben ist – im wahren Sinn des Wortes. Der allgemeinen Handlungsfreiheit jedoch sind Grenzen gesetzt, wenn sie die Ordnung einer Gesellschaft, ihre Sitten oder auch das Gewissen Einzelner verletzt. Eine solche Grenzüberschreitung empfinden wir als obszön, als Tabu-Bruch und eine Herausforderung zum Kampf.

 

Out

12outofindia

Logos and one of the planned banners for the BE OPEN website, based on a photography by Namita Nathani, winging from here, Rajasthan, 2011, a blur effect in variations, reflecting large water basins and the light installation in the exhibition, designed by Anupama Kundoo.

Each year BE OPEN, the global philanthropic foundation, announces a theme that guides their research. 2012 focused on design and the senses, while the theme for 2014 is North/South – East/West, a worldwide project that looks at the handmade and how to ensure its survival in the future.

Travelling to the four corners of the world, the foundation will involve a new generation of makers and designers, as well as students, academics and retail industry professionals, to develop the subject, exploring where and how our diverse cultures can meet and how to take traditional skills into the future, through innovation and technology.

Dr. Anupama Kundoo is invited as an architect and brand consultant to set up an exhibition in Delhi in 2014. But weeks before, the BE OPEN foundation had decided to call the project “Made in India”, a label that has no specific taste and no charm. Even worse, it’s focus is industry not tradition and craft. For weeks a new logo “Out of India” in a highly elaborate typography in a combination of Minion and Rockwell was favoured by her, but finally it ended up with a strange variation of the first title: “Made in…India” – nobody will understand the ellipsis, the three baseline dots. What’s missing between “in” and “India”? Stupid, language wise. Or is anybody afraid of India?

The design process for banners ended up in sophisticted corrections – my response to the tiny red circle simply was: “…have you (or your creative consultants) ever experienced or considered the fact that a lightly dressed woman (or boy) is more attractive and stimulating than fully naked? When you start reading “Compet…” and have read before “Design Sch…” in an environment where competition is a daily practice (Design School) you easily end up with ”Competition“. This is how communication works. You should hire another designer.”

The information on the website still says

Made in India (without the strange ellipsis)

BE OPEN’s search for the future of creativity starts in India, with a focus on making

11–28 February 2014, New Delhi

10 February official opening, by invitation only

I wonder whether the exciting title of the exhibition, “samskara” in Latin and Devanagari does not show up at all. “samskara” has many meanings that may concentrate on “deep impressions”. Another meaning is “a purificatory ceremony or rite marking a major event in one’s life”. Originally samskara denotes a preparation, an act of making perfect, in Sanskrit. In Hinduism the meaning of sanskaras or samskaras is impressions, the imprints left on the subconscious mind under the impulse of previous lessons/impressions, covering all of an individual’s lives, one’s nature, responses, states of mind, etc. – a wealth of desirable connotations!

 

Nach-Denken

Gerd Fleischmann

11_27_Januar_2014


Anschlag zu den Veranstaltungen des Erinnerungsortes Topf & Söhne in Erfurt um den Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Januar 1945

Geschichte wird nur gegenwärtig an Orten mit Geschichte.

 

 

Bau Hau

Gerd Fleischmann

bauhausfassade

Bauhaus Dessau, Stirnseite des Werkstattflügels, Strukturmerkmale der Fassadenbeschriftung, Herbert Bayer, 1926

Ohne besondere Konzentration gelingt es einem Vietnamesen nicht, den Namen »Bauhaus« mit dem Schluss-s richtig auszusprechen. Die Artikulation zerlegt das Wort in zwei gleich betonte Silben: bau hau. Dabei wird unbeabsichtigt ein Prägnanzaspekt des Institutsnamens verstärkt, der in der Lautwiederholung liegt. Aber auch in unserer Aussprache mit der Betonung auf der ersten Silbe bleibt noch genug Wirkung. Die zweite Silbe wirkt fast wie ein Echo der ersten und schließt mit einem stimmlosen s. Für Walter Gropius waren solche Überlegungen weit entfernt von seinem Interesse bei der Namensfindung für die vereinigten Gestaltungsschulen in Weimar, der Hochschule für bildende Kunst und der Großherzoglich-Sächsischen Kunstgewerbeschule. Er hatte die mittelalterlichen Bauhütten im Kopf und Bauen als die umfassendste Gestaltungsaufgabe. So beginnt das Manifest des Staatlichen Bauhauses in Weimar, gedruckt am 2. Mai 1919, auch mit dem programmatischen Satz: » Das Endziel aller bildnerischen Tätigkeit ist der Bau!«

Was in Weimar noch in dem Gehäuse stattfand, das Henry van de Velde geschaffen hatte, wurde erst mit dem Neubau in Dessau 1925/26 deutlich und sichtbar. Was damals noch auf freiem Feld stand, wirkt heute wie ein Solitär in der architektonisch wenig interessanten Umgebung an der nach dem Gründer des Bauhauses benannten Allee. Von Anfang an wurde die der Stadt zugewandte Stirnseite des sonst großflächig verglasten Werkstattgebäudes als Werbefläche benutzt. Das Standardfoto, wohl von Lucia Moholy, zeigt immer den Werkstattflügel von Süden, die »laboratoriums-, werkstatt- und lehrräume des bauhauses« (bauhaus 1, 1926), mit der weit vor der Wand stehenden vertikalen Zeile  B A U H A U S  in filigraner Stiftmontage, dahinter den flachen Aula-, Mensa- und Bühnenbau und rechts das hoch aufragende Atelierhaus. Das Fachschulgebäude wird fast immer zum größten Teil verdeckt.

Die Zeile in Versalien ist einerseits ein Geniestreich, andererseits ein Anachronismus, denn Ende 1925 hatte sich das Bauhaus endgültig für die ›kleinschreibung‹ entschieden.

Neben dem semantischen ›Witz‹ im Namen selbst und dem Gleichklang der beiden Silben hat Herbert Bayer eine Reihe von strukturellen Eigenschaften der Zeichen und ihrer Abfolge ausgenutzt, bewusst oder unbewusst, als »Gott oder Gliedermann« (Heinrich von Kleist): Gleichheit, Ähnlichkeit, Wiederholung, Richtungen und Symmetrien. Alle Zeichen haben etwa die gleiche quadratische Grundfläche, die gleiche Größe, Höhe und Breite

Mit dem Schattenwurf läuft dazu jeden Tag bei Sonnenschein ein ›Film‹ auf der Fassade. Die weit von der Wand abstehenden, relativ dünnen Lettern in Stiftmontage werfen einen Schatten, der langsam von links nach rechts wandert. Bisher kenne ich keinen Beleg, aber Bayer muss das, wenn auch nicht geplant, so doch geahnt haben.

Die offensichtlichste und als Symmetrie wahrgenommene Eigenschaft ist die von oben und unten mit dem Querstrich des H als Symmetrieachse. Dabei werden B und S durch ihre Binnengliederung gleich gesehen und auch A und U, deren Außenformen ja tatsächlich gleich sind, das das A von der gewohnten Antiquaform abweicht.

Auffällig ist auch die Degression der horizontalen Gliederungen in den ersten drei Zeichen B, A und U – 3, 2, 1. Auch in der Folge A, U, S steckt ein Kalkül: 2 + 1 = 3, aus dem Beginn der Fibonacci-Folge.

Die Fenster mit dem Raster 4:5 sind links an die Mittelachse des Fassadenrechtecks angeschlagen. Der Abstand der Beschriftung von der Ecke links wirkt gleich breit wie der der Fenster rechts.

Die Ironie in der Geschichte: 1926 verlangt Herbert Bayer in seinem Beitrag ›Versuch einer neuen Schrift‹ im Oktoberheft der Zeitschrift Offset, in dem er seinen Versuch einer Universal-Schrift vorstellt, die »Komposition aller Staben in den primären Formen Kreis, Quadrat, durchgehend gleiche Balkenstärke, nur ein Alfabet, also nicht eines mit Großbuchstaben und eines mit Kleinbuchstaben«. Er weist er darauf hin, »daß [die] Beschränkung auf ein Alfabet große Zeit- und Materialersparnis bedeutet (man denke nur an die Schreibmaschine)«. »warum großschreiben, wenn man nicht groß sprechen kann?«

Mehr dazu am 10. Dezember 2013 in Dessau: Dimensions of Raum.

 

Na und?

Lorenz Frank

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Gerd Fleischmann: Tschichold – na und? Band 3 der Reihe Ästhetik des Buches. Göttingen : Wallstein, 2013. 80 Seiten. ISBN 978-3-8353-1353-8

Eine Antwort ist Gerd Fleischmann auf der Frankfurter Buchmesse Andrea Meier in dem Gespräch bei 3sat schuldig geblieben. Die Regie hat nach exakt 15 Minuten Schluss gemacht. Warum also »na und«? Jan Tschichold hat immer nach richtig und falsch unterschieden. Dabei hat er sich über die Jahre auch selbst widersprochen. So hat er in seinem ersten Buch Die neue Typographie (1928) DIN-Formate für Bücher empfohlen und auch selbst genutzt, später aber gerade die Proportionen dieses Formats als völlig ungeeignet abgelehnt, etwa für Romane. In dem Aufsatz ›Willkürfreie Maßverhältnisse der Buchseite und des Satzspiegels‹ (1962) lehnt er DIN A5 als Buchformat rundweg ab. Der lange Aufsatz ist trotzdem interessant zu lesen, da er zum Schluss den Schlüssel für eine gute Buchgestaltung bereit hält, das Verhältnis des Satzspiegels zu Format.

»Na und?« spielt im Blick zurück auch darauf an, dass Jan Tschichold nicht gesehen hat oder nicht sehen wollte, was 1968 und danach entstanden ist, weder die visionären Ideen von Marshall Mac Luhan noch die Arbeiten von Ferdinand Kriwet. Die Dé-coll/agen von Wolf Vostell mit ihrer Zerstörung von Gedrucktem und Infragestellen des Lesbaren müssen ihm ein Gräuel gewesen sein. Auch wenn diese Ansätze nicht auf das Buch zielten, hatten und haben sie Einfluss auf das Medium.

 

 

Unerträglich

Gerd Fleischmann
VDK

Das Bild, das der VDK, der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsoge e. V. (nicht zu verwechseln mit dem ehemaligen VdK*) in seinem Newsletter vom 8. August 2013 zur Einweihung des letzten Sammelfriedhofs für deutsche Kriegstote in Russland zeigt, geht mir gegen den Strich: Soldaten der Bundeswehr, die aktuell in zehn »Auslandseinsätzen« aktiv ist, und der Verteidigungsminister sollen Tote der Deutschen Wehrmacht ehren – oder doch die »Normalität« von Militär und Krieg darstellen?

Man mag es für einen (Freudschen) Versprecher halten, was der danach zurück getretene Bundespräsident Horst Köhler (der wohl eher zurück getreten wurde) in Afghanistan gesagt hat: »Meine Einschätzung ist aber, dass wir insgesamt auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall, auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen negativ zurückschlagen.« Vgl. DIE ZEIT, 27. Mai 2010

Als ehemaliger Geschäftsführender Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF) gehörte (oder gehört) er mittelbar oder unmittelbar zu dem, was John Perkins in seinem Buch Confessions of an Economic Hit Man beschreibt, deutsch Bekenntnisse eines Economic Hit Man. – auch wenn darin Vieles im Vagen bleibt und die Gründerzeit der Vereinigten Staaten von Amerika verklärt wird.

Auf meine eMail: »Verdammt. Ich will kein Militär in Uniform an den Gräbern sehen. Frieden und Erinnerung an die Toten – auch wenn sie verführt, blind oder dumm waren – müssen ohne Militär erreicht werden. Es ist eine Sache in den Köpfen. Bitte streichen Sie mich aus Ihrem Verteiler« zu dem Titelbild des Newsletters (Motto: »Treten Sie mit uns in Kontakt!«) hat der VDK bisher nicht geantwortet. Zurück zur Heldenverehrung wie von 1933 bis 1945?

Dafür flatterte dann Print-Werbung des VDK ins Haus.

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* »VdK« ist die Abkürzung für »Verband der Kriegsbeschädigten, Kriegshinterbliebenen und Sozialrentner Deutschlands e. V.«, der 1950 gegründet wurde. In den vergangenen 60 Jahren ist aus diesem Kriegsopferverband der Sozialverband VdK Deutschland e. V. geworden, der verschämt noch die drei Buchstaben ohne weitere Erklärung im Namen führt.

Großgörschen 35

Gerd Fleischmann

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Karl Horst Hödicke Kennedy, 1964
Mit freundlicher Genehmigung von K. H. Hödicke
Foto: Kai-Annett Becker, Berlin

Wer dachte bei Großgörschen 35, wie die legendäre Selbsthilfe-Galerie in Berlin-Schöneberg in der gleichnamigen Straße kurz genannt wurde, schon an die Gemeinde zwischen Leipzig und Weißenfels im Burgenlandkreis, heute Sachsen-Anhalt? Für West-Berliner war die DDR eine terra incognita, aber auch Westdeutsche konnten nicht einreisen. In der Schule blieb das Land ein weißer Fleck. Wenn es hoch kam, dann wurde die Wartburg im Religionsunterricht erwähnt. Dass daneben in Eisenach ab 1955 ein Auto mit dem gleichen Namen gebaut wurde, erfuhren wir als Schüler nicht. Die Schlacht bei Großgörschen am 2. Mai 1813, die im Französischen bataille de Lützen heißt, war die erste Schlacht der Befreiungskriege gegen Napoleon. So hat der Galeriename Symbolcharakter. Die 14 Berliner Künstler, die sich 1964 unter dem Dach von Großgörschen 35 zusammenfanden, wollten sich vom Diktat des Kunstmarktes befreien.

Die Adresse zwischen der Abt. IV der damaligen Hochschule für Bildende Künste (Kunst- und Werkerziehung) in der Grunewaldstraße, wo die meisten der Gründer studierten, und der Weinhandlung E & M Leydicke in der Mansteinstraße war zufällig. Wer die leer stehende Gewerbeetage im 2. Stock des rechten Seitenflügels des Hauses Großgörschenstraße 35 gefunden hat ist zwischen Markus Lüpertz und Klaus Märtens (Paul Viersen) bis heue ungeklärt. Lüpertz gehörte neben Ulrich Baehr, Hans Jürgen Burggaller, Hans-Jürgen Diehl, Johannes Dornhege, Karl Horst Hödicke, Franz Rudolf Knubel, Reinhard Lange, Dieter Opper, Wolfgang Petrick, Peter (Ben) Sorge, Arnulf Spengler, Lambert Maria Wintersberger und Jürgen Zeller zu den Gründern. »Paule« begleitete das Ganze als engangierter Chronist und hat heute ein reiches Archiv zur Galerie Großgörschen 35. Lorenz Frank (d. i. Gerd Fleischmann) hat in vielen Ausstellungen und für die meisten der Künstler fotografiert. Das war dann auch der Grund, dass er zusammen mit Franz Rudolf Knubel den Katalog zum einjährigen Bestehen der Galerie machte, Grossgörschen 35 Retrospektive 1964/65 Ein Jahr Großgörschen 35. Knubel hatte über das Autohaus der Familie in Münster Beziehungen zum Druckhaus Fahle (Münstersche Zeitung). Eine VW-Werbung auf Seite 1 finanzierte das Ganze. Reisekosten, Honorare und Royalties für die Fotos gingen in der Begeisterung unter.

Eduard Franoszek wäre gerne von Anfang an dabei gewesen, konnte aber aus Krankheitsgründen nicht. Später wurde er dann Mitglied und hat vom 15. Januar bis 5. Februar 1966 auch ausgestellt.

Als erster stellte Karl Horst Hödicke aus. Am Abend der Eröffnung am 16. Juni 1964 kam die Nachricht, dass er den Deutschen Kunstpreis der Jugend für Malerei erhält. Nach dem Auszug von Großgörschen 35 war der Raum sein Atelier und er wohnte auch da. Danach übernahm Jens Michael Barge die Räume.

Vom 22. Februar bis 27. Mai 2013 zeigte die Berlinische Galerie das Werk von Karl Horst Hödicke in allen Facetten, Zeichnungen, Malerei, Readymades, Skulpturen und Filme – den Kennedy wollte der Künstler da nicht sehen. An Großgörschen 35 –– 50 Jahre dachte dabei offenbar niemand. Für Hödicke war der Gipfel für diese Gruppe ohnehin mit der Teilnahme an der Ausstellung Stationen der Moderne : Die bedeutendsten Kunstausstellungen des 20. Jahrhundert in Deutschland im Martin Gropius Bau, 1998/1999, erreicht.

Die Reaktionen auf die Idee, nach 50 Jahren an Großgörschen 35 zu erinnern, waren unterschiedlich. Die erfolgreichen Gründer wollen natürlich eher unter sich bleiben und nicht zusammen mit den vielen ausstellen, die über die Jahre dazu kamen, bis Lothar Poll 1967/1968 die Geschäfte übernahm. Die Galerie (Eva) Poll vertritt noch heute viele der Künstler. Und dann sollte es eine Ausstellung werden an erster Adresse.

Eine wunderbare und heitere Idee von Klaus Märtens, am 16. Juni 2014 die Straße vor dem Haus Großgörschenstraße 35 zu sperren und eine große Geburtstafel aufzubauen und alle kommen – ohne Kunst, fiel durch.

2014 wird in Berlin ein anderer fünfzigster Geburtstag gefeiert: Am 15. September 1964 eröffnete René Block seine Galerie im Souterrain des Hauses Frobenstraße 18, nachdem er zunächst mit seinem Grafischen Kabinett in der Wohngemeinschaft mit Dieter Ruckhaberle in der Kurfürstenstraße in Berlin angefangen hat, wo heute der Straßenstrich ist.

Gleich / ungleich

Gerd Fleischmann

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Weidezaun aus alten Eichenpfählen und Schwartenbrettern

Auf den ersten Blick sieht alles wie eine Arbeitspause aus. An einem offenbar gerade fertig gestellten Weidezaun aus Schwartenbrettern lehnen noch unverbaute oder aussortierte Pfähle. Einige sind angespitzt, andere stumpf. Zwischen den unregelmäßig gespaltenen und krummen Eichen steht vor dem letzten rechts in der Reihe ein gerades Rundholz. Das stört. Man will es wegnehmen. Es gehört nicht dazu. Beim Zählen möchte man es auslassen und sagen, da stehen sechs Pfosten.

Was wir wahrnehmen ist Konstruktion. Der erste ›Scan‹ untersucht ein angebotenes Reizfeld auf gleiche und nicht gleiche Elemente. So sind wir eher bereit, die beiden verbauten Pfähle mit den sechs am Zaun lehnenden zusammen zu sehen, als das Rundholz den Eichenpfählen zuzuordnen. Am Ende nehmen wir es in unserer Wahrnehmung aus dem Bild und konzentrieren uns auf Gleiches. Es gelingt uns auch nicht, das Rundholz alleine zu sehen. Das hängt nun wiederum damit zusammen, dass es das gleiche ›Schicksal‹ hat, wie die anderen am Zaun lehnenden Hölzer gegenüber den beiden senkrechten, an die die Bretter genagelt sind. Der Schlüssel dazu sind die tatsächlichen Zusammenhangs- und Abgrenzungsverhältnisse, wie sie Max Wertheimer vor 100 Jahren als erster gesehen und beschrieben hat. Wolfgang Metzger hat diese Gesetzmäßigkeiten der Wahrnehmung in der Folge als Gestalt- bzw. Gliederungsgesetze dargestellt.

Auf einen zweiten Blick und ohne die Absicht, den Zeigefinger zu heben und schnell ans Ziel zu kommen, sah Hartwig Frankenberg noch mehr und differenzierter: In der Reihe der unregelmäßigen Eichenpfähle stehen zwei mit deutlichen Zimmermannsspuren, einer davon trägt auch noch zwei grobe Metallösen oder -bügel. Daran zeigt sich, wie sehr die Wahrnehmung von Interessen gesteuert ist. Was sieht wohl der dritte Blick?

Schmoren, braten, dünsten, …

»BulliPedia« klingt nicht gerade einladend für deutsche Ohren – und auch gekupfert. Ferran Adrià hat sein Restaurant elBulli an der katalonischen Costa Brava geschlossen und wirbt nun für ein weltumspannendes Internet-Projekt über die Geschichte und die Zukunft des Kochens. Rhetorisch fragt er: »Was nützt Wissen, wenn man es nicht teilt?« Er lässt aber offen, wie man von Wissen satt werden kann.

In dem Artikel im Tagesspiegel steht kein Wort zur Zukunft von elBulli noch dazu, woher das kommt, was wir essen. Wäre Coca-Cola der Erfolg geworden, wenn John Stith Pemberton, Asa Griggs Candler und alle, die ihnen nachfolgten, das Rezept »geteilt« hätten? 10,6 g Zucker auf 100 ml Flüssigkeit ist zuviel für eine Erfrischung.

Bill Perlmutter

Fotografien von Bill Perlmutter
Europe in the Fifties. Through a Soldier’s Lens.
Galerie Hilaneh von Kories, Hamburg
23. Mai – 17. Juli 2013

Father with two children, Germany, 1955 With kind permission by the photographer © 2013 Bill Perlmutter

Father with two children, Germany, 1955
With kind permission by the photographer © 2013 Bill Perlmutter

Als ich die Fotografien von Bill Perlmutter (*1932) das erste Mal auf dem Monitor gesehen habe, habe ich sie förmlich gerochen. Ich weiß nicht, was meine Nase geritten hat. Die beiden Jungen in ihren abgetragenen Kleidern, die sich auf einem Feldweg gerade Zigaretten anzünden oder der Vater an der Straßenecke vor den Werbeschildern für Brinkmann Tabak, Zuban und Eckstein Zigaretten mit dem frei vor der Wand liegenden Abwasserrohr darunter, an der Hausecke der Hund … Street photography.

Und dann die Quadrate, das Rollei-Format. Den Apparat mit beiden Händen vor dem Bauch und die leichte Körperneigung, in der man mit dieser Kamera fotografiert. Aber auch die angehobene Kamera und der Blick durch die Lupe auf die waagerechte Mattscheibe führen zu einer leicht gebeugten Haltung – ganz anders als etwa mit einer Leica oder einer anderen Sucherkamera, mit der man aufrecht stehen bleiben kann.

Kinder fasziniert der Apparat. Sie hören auch das Aufklappen des Sucherschachtes, den Filmtransport mit der großen Kurbel oder wenn die Lupe hochgeklappt wird und der Fotograf die Kiste vor ein Auge nimmt. Sie stehen fasziniert vor ihm und so hat Bill Perlmutter sie auch in seinen Aufnahmen festgehalten.

Die Fotografien von Bill Perlmutter wirken wie schnelle Shots, sind aber wohl austarierte Einstellungen, die mit dieser wunderbaren Technik auch nicht schnell zu machen waren. Kein Motor, nach jeder Aufnahme mit der Kurbel den Verschluss neu spannen und den Film transportieren, zwölf Bilder auf einem Film, danach musste gewechselt werden. Alleine das machte es notwendig, keine Negative zu verschießen und mit Bedacht zu wählen, bevor man auf den Auslöser drückt.

Ich bin ein paar Jahre jünger als Bill Perlmutter und doch sind die Szenen auf seinen Fotos wie aus meinem Tagebuch: Zwei Alte vor einem Palazzo mit einem riesigen, vergitterten Fenster über ihnen, Zuschauer bei einem Fußballspiel mit Schwarz-Rot-Gold hinter ihnen, als es »uns« schon wieder »gut« ging, ein Priester auf dem Petersplatz in Rom, der an Don Camillo und Peppone denken lässt, jenen schlagkräftiger und schlitzohriger katholischen Priester in dem fiktiven Dorf Boscaccio und seinen kommunistischen Gegenspieler Giuseppe Bottazzi, die durch ihre gemeinsame Vergangenheit als Partisanen verbunden sind, einen spanischen Polizisten, der wie ein schlechtes Double von General Franco daher kommt, das Schwarz der Frauen in Portugal …

Die Welt in den Jahren, in denen die Fotos entstanden sind, war klein, gemessen an der Welt, in der wir heute leben. Die Weltbevölkerung Anfang der 50-er Jahre war gerade gut 2,5 Milliarden, das Durchschnittsalter weniger als 24 Jahre, 19 Einwohner je Quadratkilometer gegenüber mehr als 7 Milliarden heute, mehr als 50 je Quadratkilometer und einem Durchschnittsalter von fast 30 Jahren.

Was einfache GIs damals wohl nicht bemerkt haben, hat uns Jugendliche umgetrieben: Die Remilitarisierung Deutschlands, offiziell 1955. Die Gründung der Bundeswehr und die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik am 5. Mai 1955 führten zu erheblichen innenpolitischen Auseinandersetzungen, vor allem zwischen SPD und CDU, über die Frage, ob es moralisch zu verantworten sei, dass Deutschland nach der Hitler-Diktatur jemals wieder über Streitkräfte verfügen sollte. Am 7. Juni 1955 wurde die Wehrverwaltung gegründet, am 12. November 1955 die ersten 101 Freiwilligen vereidigt. Parallel dazu wurde in der DDR die Nationale Volksarmee (NVA) aufgebaut. Deren Gründung erfolgte am 18. Januar 1956 per Gesetz (zeitlich nach der Bundeswehr). Die Aufstellung erfolgte in mehreren Etappen. Bis zum 1. März 1956 sollten die Stäbe und Verwaltungen einsatzfähig sein.

Obwohl Bill Perlmutter als (reicher) Amerikaner durch das noch vom Krieg gezeichnete Europa reiste, sah er auf die Menschen mit großer Sympathie. Er begegnete ihnen auf Augenhöhe und lässt uns heute an ihrem Alltag teilnehmen, als würden wir sie gerade treffen. Sein zufällig erscheinender Blick, seine Nicht-Inszenierung, das scheinbare Fehlen von Komposition schaffen die Nähe, die mir nicht nur den Geruch der Situationen vermittelt, sondern auch den Klang, die Schritte auf dem Pflaster, das Gegacker und Geflatter der Hühner im Hinterhof.

Bill Perlmutters Schwarz-Weiß ist so farbig, dass ich die technische Farbe nicht vermisse.

Lassen Sie sich auf die Geschichten ein, die diese Fotografien erzählen.

22. Mai 2013

Einkauf nur mit Brille?

»Grundpreise in Supermärkten dürfen in einer zwei Millimeter kleinen Schrift angegeben werden.« Eine solche Schriftgröße sei für Verbraucher noch deutlich lesbar, entschied der Bundesgerichtshof (BGH). Das Gericht geht dabei von einem Leseabstand von 50 cm aus. Was aber ist diese Nachricht wert? Wovon hängt die Lesbarkeit ab? Sicher ist mit der Größe die Versalhöhe gemeint, die Höhe der Großbuchstaben und damit auch die Höhe der Ziffern, denn im Handel werden Normal- oder Tabellenziffern verwendet.

Da die Preise von einfachen Automaten ohne typografische Feinheiten gedruckt werden, haben sie auch Löcher, wenn Einsen darin vorkommen. Die Lesbarkeit hängt entscheidend auch von der Sichtbarkeit ab. »Dass sich Käufer eventuell bücken müssten, um die Preise lesen zu können, stehe der Beurteilung nicht im Wege.« urteilt der BGH weiter. Ob er auch über die Schriftart und ihre Zurichtung, die Laufweite, die Druckqualität und die Lichtverhältnisse und damit den Kontrast am Ort etwas sagt, steht nicht in der Meldung. Diese Parameter aber sind mitentscheidend, wenn es um Lesbarkeit geht. Wer hat das Hohe Gericht beraten? Und wer versteht die Urteilsbegründung?

Demgegenüber enthält die DIN 1450:2013-04 (Schriften – Leserlichkeit), die in der BGH-Urteilsbegründung auch genannt wird, durchaus neben Angaben zur Schriftgröße auch solche zur Schriftweite, zur Strichstärke, zum Betrachtungsabstand und zum Kontrast.03_2mm

Tschichold – na und?

Gerd Fleischmann
24 Miniaturen
Göttingen : Wallstein, 2013

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Zwei Miniaturen, die dem Herausgeber der neuen Reihe zur Ästhetik des Buches nicht gefielen und nolens volens gestrichen wurden, sollen hier für das kleine Buch werben, das zusammen mit einem Buch von Hans Andree und einem von Günter Karl Bose als Band 3 im Herbst erscheinen wird. Mehr darf erst ein Jahr danach ins Netz: »Wäre es […] denkbar, dass man frühzeitig zwei Doppelseitenaufschläge und den Umschlag zeigt und das Ganze vielleicht nach einem Jahr?« – Klar, auf Papier ist es ja da, in die Zukunft gesprochen …

01
Das elegante kleine Buch Ausgewählte Aufsätze über Fragen der Gestalt des Buches und der Typographie von Jan Tschichold (1902–1974) ist für viele Gestalter und Gestalterinnen so etwas wie der ›Katechismus‹ für gute Buchgestaltung. Um keine Frage nach den Verfallsdaten der Be- und Erkenntnisse aufkommen zu lassen, gibt der Autor nur bei zwei Beiträgen an, wann und wo die einzelnen Aufsätze zuerst erschienen sind – da, wo es um zusätzliche Ehre geht. Seit dem Erscheinen der Aufsätze aber hat sich die Welt verändert. Schriftliche Kommunikation hat das Papier verlassen. Texte können mit Film und Ton verbunden werden. Links führen in die Tiefe. Auf der Ebene »tal:-)* – !ptmm!« (Thanks a lot, verbunden mit einem Emoticon, einem Zwinkern – Please tell me more) bestimmen im Wesentlichen die Default-Einstellungen der Geräte und technische Parameter, wie Texte aussehen. Das Layout ist eingebaut.

Fragen zur Typografie werden ohnehin selten gestellt. Jeder kann heute über eine Tastatur digitale Texte schreiben und publizieren. Das ist auch gut so, wenn man etwa das Programm der U-Reporter der Unicef anschaut.

MS Word® und andere Textprogramme erledigen den Rest, ohne dass der Anwender das Wort ›Typografie‹ kennen muss.

Das scheint das größte Problem zu sein, auch im professionellen Feld. Alle sind sich sicher und fragen nicht. Oder ist es zuviel verlangt, dass ein Modernes Antiquariat, das auch Bücher von Jan Tschichold im Angebot hat, dem praeceptor typographiae, wie er sich selbst in seinem letzten, postum erschienenen Buch in der dritten Person stilisiert hat, den Unterschied zwischen Divis (Trenn- bzw. Bindestrich), Halbgeviertstrich (Gedankenstrich, aber auch von … bis-Strich) und Geviertstrich (Streckenstrich) kennt und in seiner Werbung richtig benutzt?

Zum Suchbegriff »Jan Tschichold« findet alleine Google gegenwärtig (04/2013) 186.000 Resultate, etwa Jan Tschichold – Typographic Genius. Den umfangreichsten Beitrag mit vielen Quellen findet man auf typolexikon.de.

02
Was Reinhard Matz für die Fotografie festgestellt hat, gilt seit der Einführung des PC in gleicher Weise für die Typografie: »… wir müssen uns aus der fotografischen Hochkultur in die Niederungen des alltäglichen Mediengebrauchs begeben, denn hier, davon bin ich überzeugt, spielt die Musik, zumindest die neue. Die klassische und die E-Fotografie werden weiterleben, großartig, erhaben, zuweilen intelligent und meistens teuer, doch überwuchert werden sie von den vielfältigen Formen der neuen oder U-Fotografie (wobei Sie sich aussuchen können, ob das ›U‹ für Unterhaltung, Untergrund, Unterleib, urig, unkompliziert, unbequem oder unernst stehen soll).«

03
Ich hatte eine Sendung Aluminium-Rundrohre und -stäbe erhalten, die bereits bezahlt waren. In dem Paket aber lag eine Rechnung mit der Aufforderung »Zahlbar innerhab 14 Tagen, ohne jeglichen Abzug.« Auf meine eMail-Nachfrage erhielt ich innerhalb weniger Minuten die Antwort aus der südlichen Oberpfalz – fast schon Niederbayern. Franz Xaver Kroetz lässt grüßen.

»Hallo,
ne das passt schon Zahlung ist da EDV fehler.
Klar, verstanden. Natürlich.«

Plakate aus Irland

Gerd Fleischmann

Jackie Dann (†2007), Longford, Co. Longford, 1976 aus der Ausstellung Irish Country Posters, Dublin, Douglas Hyde Gallery 1981

Jackie Dann (†2007), Longford, Co. Longford, 1976 aus der Ausstellung Irish Country Posters, Dublin, Douglas Hyde Gallery 1981

Plakate für Vergnügungen und Geschäfte am Ort, gesetzt mit Holzlettern, gedruckt auf alten Maschinen in Auflagen von ein paar Dutzend, wild geklebt und angeschlagen. Das gab es überall, wo es Drucker gab. In Irland bis Ende der 1970er Jahre. Danach haben Kopierer und Filzstift ersetzt, was vorher Handwerk war. Aber auch die neue Ökonomie nach dem Beitritt zur EU, die Kampagne Keep Irleand Tidy und die zunehmende Fernsehunterhaltung haben erst den Carnivals und Dancings und dann den Plakaten dafür den Boden unter den Füßen weggezogen.

Die Plakate der kleinen Drucker in der irischen Provinz sind Zeugnisse des Alltagslebens wie Töpfe, Körbe und Karren. So wie diese sind sie ohne ›Kunst‹, ohne ästhetische Absicht gemacht. Die Regeln, nach denen sie gesetzt und gedruckt wurden, sind einfach und Tradition: »Das Wort muss in die Zeile passen« oder »Die Zeile muss voll werden« – oder: »Der Name muss stark kommen«. Die Farben sind oft Zufall und »was gerade in der Maschine ist«, um das Walzenwaschen zwischendurch zu sparen. Abends jedoch musste dies dann schon sein.

Das ›Irische Projekt‹ mit Studierenden des Fachbereich Gestaltung der Fachhochschule Bielefeld ist längst Geschichte. Die Sammlung Plakatschriften aus dem Projekt und einige alte Maschinen hat das Museum für Druckkunst in Leizig übernommen. Die Kempe-Werk Andruckpresse, die mit der Ausstellung herumgezgen ist, steht jetzt im Historischen Museum Bielefeld. Eine Reihe von Ausstellungstafeln und Großfotos sind inzwischen verbaut, aber der bei Weitem größte Teil der Sammlung steht herum oder lagert in Schubladen, Plakate von Jackie Dann, Longford, Co. Longford, Thomas Morahan, Strokestown, Co. Roscommon, The County Donegal Printing Works Ltd., Letterkenny, Co. Donegal, und anderen.

Die Hoffnung, dass das Bunratty Folk Park Museum hinter Bunratty Castle, Co. Clare, daran Interesse haben könnte, hat sich 2011 zerschlagen. Die 1984 mit Unterstützung der Context Gruppe unter dem Namen John Fosters in Betrieb genommene Werkstatt des Strokestown Democrat mit einer handbetriebenen Wharfedale, einer Albion von 1830 und einer hölzernen Wanderpresse ist verschwunden, ohne dass jemand sagen kann, wo alles ist.

Neben den Plakaten gibt es unzählige Fotos, die zeigen, wie die Plakate hergestellt wurden und wie sie ,arbeiteten‘. Das Medium und das ganze Projekt sind dargestellt in dem kleinen Buch Irish Country Posters. Plakate in der irischen Provinz, Bielefeld und Essen 1982, mit einem Vorwort von Hildegard Hamm-Brücher.

Die Frage ist nun: Wo sollen die Plakate und Bilder bleiben „für wenn ich tot bin“ (Uwe Johnson)? Das Deutsche Plakat Museum im Museum Folkwang in Essen sammelt etwas Anderes. Für das Museum für Druckkunst ist die Sache zu speziell und zu wenig technisch – die Schriften und Maschinen sind da gut aufgehoben. Eigentlich gehört alles nach Irland, dahin, wo die Spuren des Alltagslebens gesammelt und dargestellt werden, in die Sektion Country Life des National Museum of Ireland in Turlough Park, Castlebar, Co. Mayo. Piotr Rypson hat Interesse an dem Material für das Pakatmuseum Wilanów in Warschau – aber auch da geht es um Kunst und nicht um das tägliche Leben.

Die Ausstellung Na obrzezu mit Plakaten des studentischen Protestes in Polen ist eine andere Geschichte …