B-A-960x160.jpg

Nobody knows…

Gerd Fleischmann

wohl jede und jeder, die oder der das bauhaus dessau besucht und eine kamera oder ein handy dabei hat, fotografiert die fassadenbeschriftung an der stirnseite des werkstattflügels, die nach südsüdost zeigt. das geht bis zu selfies mit B-A-U-H-A-U-S im hintergrund. da das jeweils nur für einen moment ist, bemerkt kaum eine oder einer, dass die schatten, die die sieben versalien werfen, über den tag von links nach rechts wandern.

das fängt im hochsommer etwa um 7:00 uhr an und dauert bis gegen 16:30 uhr. danach liegt die fassade wieder grau im schatten. eine webcam in der bibliothek der hochschule anhalt gegenüber könnte die bewegung der schlagschatten von jetzt bis 2019 als werbung für 100 jahre bauhaus zeigen, weltweit und (fast) umsonst. und die besucherinnen und besucher, die kaum auf das gebäude und die ›reklame‹ schauen und schnell ein foto machen, um das bauhaus zu ›besitzen‹, als botschafterinnen und botschafter für das jubiläum gewinnen.

schatten waren seit der renaissance ein thema der kunst, vor allem aber auch der avantgarde-fotografie und des neuen bauens. der schatten des neuen lichtmastes auf der fläche vor der fassade wirkt wie eine sonnenuhr. es fehlt nur die skala auf dem pflaster.

wenn die selfies mit der fassadenschrift eingeschickt und postkartengroß mit namen und adresse auf einer ständig wachsenden wand bis zum jubiläum gesammelt würden, hätte die stiftung bauhaus über alle facebook-likes ein einzigartiges dokument und ein begeistertes publikum.

die ironie der geschichte: ende 1926, als die fassadenbeschriftung entstand sein muss, zumindest der entwurf, verlangt herbert bayer in seinem beitrag ›Versuch einer neuen Schrift‹ im oktoberheft der zeitschrift Offset, in dem er seinen versuch einer universal-schrift vorstellt, die »Komposition aller Staben in den primären Formen Kreis, Quadrat, durchgehend gleiche Balkenstärke, nur ein Alfabet, also nicht eines mit Großbuchstaben und eines mit Kleinbuchstaben«. er begründet das mit dem hinweis, »daß [die] Beschränkung auf ein Alfabet große Zeit- und Materialersparnis bedeutet (man denke nur an die Schreibmaschine)«.

walter gropius erwähnt die fassadenbeschriftung nicht. Er schreibt in dem buch bauhaus bauten dessau (Bauhausbücher 12, 1930) zur beschriftung nur in einer fußnote auf Seite 12 »… die wandmalerei übernahm die äußere und innere farbige gestaltung der bauten und die druckerei die beschriftung.« und auf Seite 15 im text: »die beschriftungen führte die druckereiabteilung des bauhauses aus.« leiter der neu eingerichteten werkstatt für druck und reklame war herbert bayer.

»warum großschreiben, wenn man nicht groß sprechen kann?« (Herbert Bayer, 1926)

18schatten406

July 20, 2014, 11 am: Nobody knows / whether Walter Gropius / or Herbert Bayer / had the shadows / in mind…